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Hartmut Semken sorgte mit seinen Äußerungen immer wieder für Wirbel.

© dapd

Update

Rücktritt des Berliner Piratenchefs: Fall Semken: Verrat am Pirat?

Die "Spiegel"-Redaktion beteiligt sich aktiv am Rücktritt des Berliner Parteichefs Hartmut Semken. Und tastet damit das im Pressekodex verankerte Prinzip des Quellenschutzes an.

Der Quellenschutz ist im Journalismus ein sehr hohes Gut. Kaum ein Skandal, der nicht aufgedeckt worden wäre, wenn nicht ein Informant einem Medium etwas Sensationelles „gesteckt“ hätte. Informanten können, ja müssen darauf vertrauen, dass sie von Journalisten und Redaktionen geschützt werden. Der Pressekodex des Deutschen Presserates hält den Quellenschutz und das Redaktionsgeheimnis sehr hoch. Die Vertraulichkeit könne nur gebrochen werden, wenn es beispielsweise Verbrechen betrifft, oder „wenn nach sorgfältiger Abwägung festgestellt wird, dass das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit höher rangiert als die für die Geheimhaltung angeführten Gründe“.

Spiegel Online ist im Zusammenhang mit dem Rücktritt des Berliner Piratenchefs Hartmut Semken über die journalistische Grenze gegangen. Nach dem SpOn-Bericht unter der Überschrift „Ich bin politisch erledigt. Ich habe gelogen“ vom 16. Mai hatte Semken dem Spiegel am 10. Mai aus einer geheimen Vorstandssitzung gemailt, dass ihm der restliche Vorstand das Vertrauen ausgesprochen hätte. „Der König ist nicht tot. Und weigert sich weiterhin, zurückzutreten.“ Dieses Zitat wurde öffentlich, Semken vom Vorstand des Bruchs der Vertraulichkeit beschuldigt. Der wehrte sich, sagte, er habe erst nach der Sitzung gemailt, und zwar nicht nach der Mai-Sitzung, sondern bereits nach der April-Sitzung.

Fotos vom Parteitag der Piraten:

Nun griff Spiegel Online in das Geschehen ein: „Die Redaktion des Spiegel weist die Piraten kurze Zeit später darauf hin, dass das Zitat sehr wohl aus der laufenden Geheimsitzung im Mai stamme.“ Semken wird damit konfrontiert, er tritt zurück und mailt: „Fakt: ich habe gelogen, habe eine Mail, die ich aus einer Sitzung geschrieben habe, die ich nicht hätte schreiben dürfen, versucht, wegzulügen.“ Hartmut Semken hatte gelogen, der „Spiegel“ wusste es, er hat reagiert und Schicksal gespielt. Ist das eine grobe Verletzung des Quellenschutzes oder war der Schritt, sprich das Weiterflüstern an den Piraten-Vorstand im Sinn der Wahrheitsfindung schlicht notwendig?

Holger Stark, Ressortleiter Deutschland im „Spiegel“, sagte dem Tagesspiegel: „Zwischen Hartmut Semken und dem ,Spiegel’ ist nach der Vorstandssitzung vereinbart worden, dass das Material nicht vertraulich ist, sondern offen nutzbar.“ Da in diesem Fall ausdrücklich keine Vertraulichkeit vereinbart worden sei, könne es auch keinen Vertrauensbruch gegeben haben. „Der ,Spiegel’ hat Semkens Mail nicht an die Piraten weitergeleitet“, sagte Stark.

Unbestritten blieb, dass der „Spiegel“-Autor Sven Becker den Piratenvorstand selbst über Semken informiert hat; damit ist dessen Rücktritt mitbefördert worden. Für den ehemaligen Piratenchef bleibt das Faktum bestehen, dass er gegenüber dem „Spiegel“ in weitaus größerem Maß „transparent“ war als seiner Partei gegenüber.

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