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© dpa

Kritik: Forever young

Ungewohnt gelungen: Das Talk-Debüt von Moderatorin Charlotte Roche bei „3 nach 9“

Was kaum einer in Fernsehshows mag, ist der Lack, die Aufschneiderei, die Künstlichkeit, die Mache – sofern die nicht so hohe Grade erreichen, dass es schon wieder toll ist. So etwas passiert aber nur ausnahmsweise. Für den Normalfall sind wir auf die Quertreiber angewiesen, die dafür sorgen, dass der Lack abplatzt, und am besten sind solche, die diese Rolle quasi nebenbei spielen – einfach, weil sie sind, wie sie sind. Für die Verjüngung einer altgedienten Talkshow, die von Personalities und einer Atmosphäre lebt, in der Promis sich gerne mitteilen, ist eine quere Person genau das Richtige, eine Moderatorin, die eben nicht moderiert im Sinne von ausgleichen, sondern herausfordert – dadurch, dass sie ist, wie sie ist. Wer könnte das mit mehr Charme erledigen als Charlotte Roche?

Man kann bei der Moderation sich ganz auf den Gast einstellen und fast ein bisschen in ihn reinkriechen, man kann aber auch bei sich selbst bleiben und eher Ver- als Bewunderung produzieren. Beide Moderatoren der letzten „3 nach 9“-Sendung, Alt-Meister Giovanni di Lorenzo (ja, in der schnelllebigen Fernsehzeit ist er schon ein solcher) und Neuzugang Roche (die als Viva-Lady aber schon Meriten hat) gehören zur zweiten Sorte. Und selbst, wenn Roche einem Gast mal (zu) nahe rückt, als sie Christoph Schlingensief anvertraute, sein Buch über den Krebs habe ihr Leben verändert, bleibt sie bei sich. Und auch di Lorenzo bleibt bei sich, wenn er Peter Kraus fragt, wie der es schaffe, seiner Frau nach vierzig Ehejahren noch Liebeserklärungen zu machen. Dieser betonte Subjektivismus des Moderatoren-Teams ist schon mal eine gute Voraussetzung für einen gelungenen Abend.

War dieser Abend gelungen? Er war ungewohnt, und das ist schon mal nicht schlecht. Der sonst übliche, leicht forcierte Frohsinn fehlte: Das lag aber nicht an der Moderation, sondern an der Gästeliste. Der kranke Schlingensief, die eher gestrenge Cellistin Sol Gabetta und drei Frauen aus drei Generationen mit Wurzeln in Tibet, von denen zwei aus ihrer Heimat unter Lebensgefahr geflohen waren, senkten vorab eine gewisse Ernsthaftigkeit über die Szene. Nicht einmal Bully Herbig, der gleich zu Beginn von Roche nach seiner Arbeit über „Wickie und die starken Männer“ befragt wurde, verbreitete die zu erwartende Heiterkeit. Das Thema hieß: Lampenfieber und Anschlussfehler. Roche: „Ich stelle mir Drehen mit Kindern entsetzlich vor“. So war es auch, antwortete Herbig, der Hauptdarsteller ging nach Hause, wenn er keine Lust mehr hatte. Er musste ihn mit Eis bestechen. Auch di Lorenzos Talk mit Alt-Rocker Peter Kraus atmete so etwas wie Melancholie. Die fälligen „Wie-war-das-damals?“-Fragen beantwortete Kraus mit einer sympathischen Gehemmtheit. Er hatte das alles schon x-mal erzählt. Aber dann ging es ans Eingemachte: Wie es sein könne, wunderte sich der Moderator, dass der Sänger mit siebzig immer noch so gut aussehe? Ob er chirurgisch nachgeholfen habe? Nein, sagte Peter Kraus, aber er werde es tun, wenn er alt geworden sei.

Zum Schluss konnte Steffen Möller, deutscher Kabarettist und TV-Star in Polen, die Sendung zur gewohnten Unbeschwertheit zurückführen. Er durfte sogar einen polnischen Witz über Deutsche erzählen. Aber dann sprach er auch über sich. Dass er schon in früher Jugend ein Klassikfan gewesen sei. Roche dazu: „Pervers!“ Dass er, um nicht anzuecken, immer eine Tarnkassette mit Pop dabeigehabt hätte. Roche: „Das klingt nach Paranoia“. Ja, und deshalb, so Möller, betreibe er jetzt auch sein Outing.

Typisch, wie Charlotte Roche die originelle britische Retroband „Kitty, Daisy und Lewis“ vorstellte. Die Moderatorin nahm ihre Bezauberung ganz auf die eigene Kappe und steckte damit alle an: das Saal- und vermutlich auch das Fernsehpublikum. Ja, es war ein gelungener Abend, und es konnte auch nicht anders sein. Die tibetanische Großmutter, eine Nonne nahe den neunzig, hatte einen Tag lang dafür gebetet.

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