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Medien: Frauen gegen Hitler

Eine sehenswerte, mehrteilige Dokumentation über den Widerstand im Dritten Reich

1933 bekam die Weddinger Tischlersfamilie öfter Besuch. Normalerweise kennt man die Menschen, die einen besuchen wollen. Die Tischlertochter Elfriede Brüning kannte sie nicht. Einen fand sie ziemlich sympathisch, den anderen eher nicht. Der erste war Wilhelm Pieck, der zweite war Walter Ulbricht. Einmal kam sogar Ernst Thälmann. Denn irgendwo mussten sie doch hin, verboten wie sie waren. Also kamen sie zu Elfriede Brünings Eltern nach Hause. Elfriede Brüning ist jetzt Mitte 90 und das letzte Mitglied des „Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“. Elfriede Brüning gehört zu den Menschen, die auch mit über 90 überwach und geistesgegenwärtig sind, dass wir anderen dagegen wie Halbschlafende wirken. Heute beginnt Arte seinen Programmschwerpunkt „Aufstand gegen Hitler“. Bis Ende März werden Dokus über den Widerstand gezeigt. Es fallen Namen, die man kaum (noch) kennt, und das ist Absicht. Arte sammelt alles auf, was Knopp & Co. vergessen hatten.

Wir neigen dazu, Geschichte gedenktagsgerecht auf ein paar wenige Personen und ihr Schicksal zu reduzieren. Aber der Widerstand, sagt Arte, war viel breiter, und vor allem war er europaweit. Natürlich hat das Konzept, statt einem Schicksal viele zu zeigen, seine Risiken. Gleich im ersten Film heute um 20 Uhr 45 sehen wir das. Anja Klabundes Dokumentation heißt „Schwestern im Widerstand“. Ein Titel, bei dem man sofort an ein aufständiges Nonnenkloster denkt, aber dann kommen gar keine Nonnen vor. Vielleicht wollte die Autorin uns mitteilen, dass Frauen, die gegen Hitler kämpften, in gewissem Sinne zu Geschwistern wurden. Überhaupt ist die Verbrüderungs- und Verschwesterungstonlage, die man aus der DDR so gut kannte, auffällig. Klabunde porträtiert auch deshalb nur Frauen, weil die weibliche Seite des Widerstands ihr bisher zu kurz kam. Dass die ersten „Widerstandsfrauen“ zudem meist einen kommunistischen Hintergrund hatten wie Elfriede Brüning und ihre Eltern, spricht sie zu Beginn aus. Früher in der DDR hieß fast jede Straße nach einem kommunistischen Hitlergegner, inzwischen merkt man auf, wenn man diese Namen hört. Leider gibt Anja Klabunde jeder Frau nur zwei Sätze, dann ist schon die nächste dran, dann die übernächste. Bis sie irgendwann zur ersten zurückkehrt, um immer neue Namen und Gesichter auftauchen zu lassen. Der Zuschauer sieht sich bald in ein ungewöhnliches Gedächtnisspiel verwickelt: Zu welcher Frau gehört welche Geschichte? Fatal, wenn man sie falsch zuordnen würde. Zudem sehen sich Charlotte Janka und Lore Krüger frappierend ähnlich. Charlotte Janka kommt aus einer kommunistischen Familie und vertrieb bald illegal kommunistische Widerstandsprosa, vorzugsweise Broschüren mit Tarnnamen wie „Sammelt Pilze!“ Lore Krüger dagegen ist eine jüdische Fotografin, die in Frankreich überlebte, als ihre Eltern noch auf Mallorca waren und sich dort das Leben nahmen, als die Insel „judenrein“ werden sollte. Man möchte den Geschichten dieser Frauen zuhören, doch das ist unmöglich, weil der Film es bei keiner aushält.

Man könnte auch dem neuen Sophie- Scholl-Film vorwerfen, dass er, je mehr er dieses eine Mädchen in das Licht der Aufmerksamkeit rückt, die anderen erst recht dem Vergessen preisgibt. Und diese Sophie Scholl war doch nur, was sie war, mit den anderen und durch sie. Man kann es so sehen, aber ein guter Film wäre es anders kaum geworden. Auch an „Schwestern im Widerstand“ lernt man, dass es die Medien-Gerechtigkeit gegenüber allen nicht gibt. Hier wird sie eine Ungerechtigkeit gegen alle.

Die nächsten Filme der Reihe sind thematisch gebundener. Am nächsten Mittwoch zeigt Arte einen Film nicht über den Widerstand Einzelner, sondern über den einer ganzen Stadt. „Die Hungernde Stadt“ von Christian Klemke und Jan N. Lorenzen berichtet von der Blockade Leningrads. Fast 900 Tage lang, vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944, war Leningrad von deutschen Truppen umstellt und ergab sich doch nicht. Eine Million Menschen starben allein im ersten Blockadewinter. Wie unvorstellbar teuer dieser Sieg erkauft war – auch das zeigt „Die hungernde Stadt“. Es folgen Dokumentionen über den jungen schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg, der Zehntausende Juden in Ungarn vor der Deportation rettete (14. März), über die französische Résistance (16. März), über den jüdischen Widerstand (23. März) und schließlich über die zwei Gesichter des dänischen Kampfes gegen Hitler (30. März). Vor vier Jahren hatte ein Buch Dänemark erschüttert. „Efter drabet“ thematisierte zum ersten Mal die rund 400 Fälle von Selbstjustiz im dänischen Widerstand.

„Résistance – Schwestern im Widerstand“, Mittwoch, Arte, 20 Uhr 45

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