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Medien: Freimut Duve: Gralshüter des Journalismus

"Freimut Duve" steht auf dem Namensschild an seinem Büro. In kyrillischen Buchstaben.

"Freimut Duve" steht auf dem Namensschild an seinem Büro. In kyrillischen Buchstaben. Diejenigen, mit denen er zuletzt den größten Ärger hatte, sollen wissen, mit wem sie es zu tun haben. In diesem Punkt war der heute 64-jährige Duve immer schon für klare Verhältnisse. In den siebziger, achtziger Jahren, als er SPD-Abgeordneter im Bundestag war, Herausgeber der Buchreihe "rororo-aktuell" sowie schreiblustig-streitbarer Kommentator politischer Vorgänge. Ende 1997 ist er von den 54 OSZE-Staaten zum Wächter über die Medienfreiheit zwischen Vancouver und Wladiwostok berufen worden, und die Liste der Mächtigen, bei denen er seither interveniert hat, ist lang.

Der Streit beim tschechischen Fernsehen; die womöglich vom Präsidenten veranlasste Ermordung eines Journalisten in der Ukraine; Prozesse gegen kasachische Zeitungen wegen "Beleidigung des Präsidenten" oder, ganz aktuell, die Verhaftung und Misshandlung einer russischen Reporterin, die über Verbrechen russischer Soldaten an tschetschenischen Zivilisten recherchierte - all das rückt die Lage osteuropäischer Medien in den Blickpunkt. Die "strukturellen Grundmuster" in Osteuropa seien sich "ziemlich ähnlich" sagt Duve: Mehr als 70 Jahre lang seien die Medien dort staatlich gesteuert worden; den "kulturellen Prozess" einer "Akzeptanz des Pluralismus" hält Duve nicht für abgeschlossen. "Die Leute müssen lernen, dass nicht hinter jedem journalistischen Angriff eine Feindseligkeit steckt."

Duve gibt zu, er selbst habe die Größe der Herausforderungen erst im Lauf der Zeit gesehen: "Man muss ungeheuren Respekt haben vor dem, was die Menschen dort zu bewältigen haben." Eine Besonderheit ist die Lage der Medien auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien, die mit völkischer Hetzpropaganda während der Kriege "zum Teil richtige Mordwaffen" waren und sich jetzt auf eine liberale, humane Friedensordnung umstellen sollen. In anderen östlichen Ländern ist die Entstaatlichung der Medien längst nicht bewältigt, die Zukunft gerade bei Fernsehen und Rundfunk unklar: "Die Umwandlung in private oder scheinbar öffentlich-rechtliche Anstalten ist innerhalb ganz kurzer Zeit und ohne wirkliche Planung erfolgt. Woran wollen diese Sender sich orientieren? An der BBC oder am Privatfernsehen?"

Die Debatte um das tschechische Fernsehen hat der Medienbeauftragte nicht ungern gesehen, weil damit die Bedeutung eines unabhängigen Journalismus im landesweiten Fernsehen von einer breiten Öffentlichkeit thematisiert worden sei. Die Diskussion habe "sehr viel ausgelöst" in Polen, Bulgarien und Ungarn beispielsweise, sagt Duve.

Auf die Frage, was der Unterschied zwischen parteipolitischer Einflussnahme in Tschechien und ähnlichen Vorgängen im Bereich der ARD sei, lächelt Duve zuerst, spricht dann davon, dass der Pluralismus in Deutschland durch die unterschiedlich orientierten Länderanstalten gewährleistet sei und davon, "dass die Presse allzu viel Einfluss sofort aufspießt". So wie er aber der tschechischen Regierung auf der Höhe des Fernsehstreits versichert hat, dass "politische Einmischung in kritischen und professionellen Journalismus nicht auf die postsozialistische Welt beschränkt" sei, so findet er auch jetzt: "Eine öffentlich wahrnehmbare Diskussion in Deutschland, gerade im Gespräch mit den Kollegen in Prag wäre gar nicht schlecht."

Wenig Anerkennung

Durch seinen öffentlichen Einsatz für Journalisten, die von der russischen Regierung drangsaliert wurden, hat sich Duve in Moskau unbeliebt gemacht. Beim Außenministertreffen der OSZE im November versuchte Russland, einen eigenen Kandidaten durchzusetzen. Der vereinte Widerstand der anderen OSZE-Staaten verhinderte zwar eine Absetzung Duves, er wurde aber auch nicht neu bestellt. Es gilt die Sprachregelung, die Wahl sei "verschoben". Duve sagt, die unklare Situation schaffe zwar Nervosität, "hat aber an meinen Arbeitsbedingungen, am Interesse oder Desinteresse der Staaten nichts geändert".

Duve hat auch "das Gefühl, dass nicht alle westlichen Regierungen meine Aufgabe als besonders wichtig betrachten". Auch habe die EU gegenüber ihren Beitrittskandidaten die Medienfreiheit "nicht so stark" gefordert: "Dabei führen wir doch keinen Amnesty-Smalltalk. Die Freiheit des Journalismus hat enorme Bedeutung für die Region. Sonst bestimmen nur die Tycoons, die ohnehin das ganze Land in die Hand nehmen wollen, die öffentliche Debatte." Duve geht es insbesondere um die "kritische, korrigierende Funktion des Journalismus: "Tschernobyl zum Beispiel wäre nicht möglich gewesen bei einer freien Presse, weil es wahnsinnig viele Fachleute gab, die gewusst haben und erzählen wollten, was da alles fehlgelaufen ist. Aber keiner durfte darüber schreiben."

Einen "Mangel an Professionalismus" bei den Journalisten in Osteuropa sieht Duve allerdings auch. "Deshalb habe ich in Georgien, Kasachstan und Usbekistan Schülerzeitungen gegründet. Diese Leute sollen vom Beobachten her in den Journalismus kommen, sollen lernen zu beschreiben und nicht immer erörtern, ob sie den Präsidenten nun mögen oder nicht." Im Westen, sagt Duve, habe es immer den Journalisten ausgezeichnet, "hinter der Säule zu stehen, nicht gesehen zu werden, aber Augen und Ohren weit offen und den Mund geschlossen zu halten." Von neuen Medien und deren Gebräuchen überflutet, lernten die jungen Leute im Osten heute genau das Gegenteil: "Die glauben, Journalist zu sein, heißt ein Star zu sein. Die erleben Medienleute als dauernd plappernde Menschen, die in der Regel schlecht zuhören können. Eine Besinnung auf das Wesen des Journalismus wäre nötig."

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