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Genervt und eingerahmt.

© Tsp

Fußball-Live-Ticker: Zwölf Freunde

Kein Fernseh-Gerät in der Nähe? Die Fußball-Live-Ticker sind oft besser als die Spiele. Bei "11 Freunde" wird das sogar zur Kunstform erhoben.

Wozu ein Fußball-Live-Ticker manchmal gut sein kann: Das 0:0 zwischen RB Leipzig und dem 1. FC Kaiserslautern in der 2. Bundesliga am Montagabend war sportlich nicht so aufregend. Auf dem Twitter-Account der ARD-„Sportschau“ wurde dennoch lebhaft diskutiert, da war das Spiel noch nicht mal angepfiffen. Eine Lobeshymne auf RB Leipzig („der Aufsteiger macht einfach nur Spaß“) brachte die „Sportschau“-User derart in Rage, dass ein Shitstorm drohte. Mit ähnlich drastischen Reaktionen hat Dirk Gieselmann noch nicht zu tun gehabt. Dabei setzt sich der Redakteur des Fußball-Magazins „11 Freunde“ Samstag für Samstag, Mittwoch für Mittwoch zu Spielbeginn an den Computer und macht einen der beliebtesten und merkwürdigsten Fußball-Ticker der Republik.

Anders als bei kicker.de, tagesspiegel.de oder Spiegel Online, die bei Toren, Chancen, Ein- und Auswechslungen sachlich bleiben, erheben die „11 Freunde“ den Live-Ticker mit der Erwähnung von Nebensächlichkeiten, Persönlichem oder Zitaten zu einer Art Kunstform. Gieselmann, Lucas Vogelsang, Andreas Bock und Fabian Jonas erhielten 2010 dafür den Henri-Nannen-Preis in der Kategorie Humor für den Liveticker auf 11freunde.de.

Das scheint die Lust auf die etwas andere Fußballreportage noch mehr angestachelt zu haben. Bei Gieselmann liegt während des Live-Tickerns kein „Kicker“-Sonderheft auf dem Tisch, mit Statistiken. „Ich will nicht mehr wissen, als ich ohnehin schon zu wissen gezwungen bin. Ich brauche pro Spiel nur vier, fünf Zigaretten, einen starken Kaffee und währenddessen größtmögliche Ruhe um mich herum.“ Wer ihm beim Tickern Gesellschaft leiste, der sieht „einen Mann mit finsterem Blick, der in dem Moment ebenso gut seine überfällige Steuererklärung machen könnte“.

Begonnen hat das alles bei der WM 2006, damals als Textdienstleistung für Ebay, sagt der Reporter. „Mir wurde das Schicksal zuteil, das Eröffnungsspiel Deutschland gegen Costa Rica zu tickern. Ich saß in einem fensterlosen Raum, während draußen das Land tanzte, schrieb Halbsätze wie ,Schöner Pass von Schweinsteiger‘, ganz orthodoxen Telegrammstil, den ich für angebracht hielt.“ Als er erfuhr, dass sieben Leute diesen Ticker gelesen hatten, fand ein Umdenken statt. So sei der typische Ton des "11Freunde"-Tickers entstanden: „selbstreflexiv, parteiisch, vom Fußball – bei aller Liebe – mitunter genervt.“ Das liest sich dann so, wie am Samstag beim Bundesliga-Topspiel Bayern München gegen Borussia Dortmund: „Bayern unter Druck wie Franz Josef Strauß’ Blase auf dem Oktoberfest 1983.“ Oder: „Kloppo an der Seitenlinie wie einer, der nicht ins P1 gelassen wurde: Steppweste, Geckenkappe, die Hände suchen in der Trainingsbuchse nach Kleingeld oder noch Geringerem. Da passiert Hermann Gerland den Einlass, mit Kloppos Frau im Arm. Die Vorentscheidung?“

Surrealer Eindruck

Das Führungstor des BVB durch Marco Reus wurde natürlich auch gemeldet. In Zeiten der Smartphones, Apps und mobilen Verfügbarkeiten sind Live-Ticker für Fußballfans unverzichtbar geworden. Schnelle Information. Genauso unverzichtbar wie für die großen Portale. Die Abrufzahlen bei tagesspiegel.de oder Spiegel Online liegen schon mal im sechs- bis siebenstelligen Bereich, gerade, wenn ein Champions-League-Topspiel wie Dortmund gegen Istanbul am Dienstag nicht im Free TV zu sehen ist. „11 Freunde“ bringen die Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft den meisten Traffic, sagt Gieselmann, auch in der K.-o.-Phase der Champions-League lesen sehr viele Leute den Ticker, dort werden an guten Tagen um die 300 000 Page Impressions generiert. Zudem gelte: „Je kurioser ein Spiel verläuft, desto mehr wird der Ticker hinterher als Protokoll gelesen, weil die Leute wissen möchten, wie wir das Geschehen wahrgenommen haben.“ Ohnehin diene der Ticker den meisten als Ergänzung zu anderen, sicherlich objektiveren Informationen, die man zu einem Fußballspiel erhalten kann. Wer das Spiel ausschließlich durch Dirk Gieselmann vermittelt bekommt, wird einen ziemlich surrealen Eindruck davon gewinnen.

Und manchmal auch wütend werden. „Meine liebste Mail“, sagt Gieselmann, „kam von einem Fan des FC Schalke 04, dem ich während eines Spiels seines Vereins offenbar nicht königsblau genug war. Er schrieb: ,Gieselmann ist ein Pimmel.‘ “ Diese Zuschrift hat sich der Live-Tickerer ausgedruckt und eingerahmt.

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