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Medien: Heilig-Geist-Fernsehen

In den USA bestimmt der Papsttod noch stärker die Medien als in Europa

Der Tag würde kommen. Das wussten sie. Irgendwann stirbt auch dieser Papst. Entsprechend gut waren die US-Medien vorbereitet. Die großen Zeitungen hatten nicht etwa nur Sonderseiten, sondern voluminöse Extra-Beilagen produziert. Der Nachruf der „New York Times“ ging, mit wenigen Bildern illustriert, über fünf eng beschriebene Zeitungsseiten.

Auch Magazine wie „Time“ und „Newsweek“ hatten am Montag selbstverständlich den Papst auf ihrer Titelseite. Die drei Nachrichtensender – CNN, FoxNews, MSNBC – berichten 24/7, das heißt 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Kein anderes Thema wird behandelt. Der Tod von Johannes Paul II. stellt in seiner medialen Präsenz selbst den von Ronald Reagan in den Schatten. Und Terri Schiavo, die Wachkoma-Patientin? Die an deren Schicksal geknüpften Exzessivreflektionen über Tod, Leben, Gott und die Welt waren in ihrer Emotionalität gewissermaßen das Präludium zum Ableben des Papstes.

Alle wichtigen „Anchormen“ der TV-Sender sind vor Ort. Von CNN sind Anderson Cooper, Aaron Brown, Bill Hemmer und Christiane Amanpour in Rom. Nachts reden sie mit trauernden Pilgern, tagsüber informieren sie über die Beerdigungsvorbereitungen und spekulieren über Nachfolger. Langweilig wird’s nie. In seinen 26 Amtsjahren hat der Papst Geschichten en gros produziert. Man muss sie nur ausgraben. Das Attentat auf ihn wird rekonstruiert. Damals hatte er ein kleines Kind auf dem Arm. Hat es ihm das Leben gerettet? Das Kind ist inzwischen erwachsen und wird befragt. Nein, sagt die Frau, es war anders herum: Der Papst hat mein Leben gerettet.

So reiht sich Anekdote an Episode, Ergreifendes an Rührendes, Belehrendes an Mahnendes. Frühe Gedichte des Papstes werden rezitiert. NBC reaktiviert Tom Brokaw, der Tim Russert interviewt, eine andere TV-Legende. Russert ist gläubiger Katholik, seine Frau, damals schwanger, wurde vom Papst gesegnet. „Er hielt seine Hand auf ihren Bauch.“ Das geht ans Herz. Im Parallelprogramm gibt es katholischen Nachhilfeunterricht. Wie kann der Papst der Stellvertreter Gottes sein, wenn er doch, ganz weltlich, von den Kardinälen gewählt wird?

Das Zusammenspiel von TV und Kanzel ist perfekt. Am Sonntag fanden im ganzen Land Gedenk- und Trauermessen statt. Gläubige wurden aufgefordert, in den kommenden Tagen möglichst viel fernzusehen. Die Gelegenheit sei günstig. „Benutzt CNN, ABC, CBS und andere Kanäle, um euren Kindern etwas Neues und anderes über die Kirche und ihre Beziehungen zum Heiligen Geist zu lehren“, empfahl ein Priester aus Durham in North Carolina. Aber das tun die Amerikaner ohnehin. Die Einschaltquoten sind hoch. „Ereignisse wie diese ziehen ein sehr leidenschaftliches und aufmerksames Publikum an“, sagt CNN-Chef Jon Klein.

Nicht allein, weil Johannes Paul II. länger als ein Vierteljahrhundert amtierte, existiert von ihm nun ein schier unfassbarer Fundus an Schrift-, Ton- und Bildmaterial, sondern vor allem, weil sich während dieser Zeit die Medien potenzierten. Der Papst hat sie kritisiert, benutzt und selbst verbreitet. Der Vatikan selbst unterhält ein kleines Medienimperium aus Nachrichtenagenturen, zwei Tageszeitungen, Radio- und Fernsehstation.

Was erklärt die besondere Anteilnahme der Amerikaner? Politik, Mysterium, Tradition, Spiritualität, Moralität, Charisma: Diese Mischung ist wie geschaffen für das Publikum. Die USA sind eine stark religiöse Gesellschaft. Der Papst war hier stets außerordentlich beliebt. George W. Bush hat ihn nicht weniger als drei Mal besucht. Und die jüngste präsidiale Rhetorik von der „Kultur des Lebens“ stammt direkt von Johannes Paul II. Dessen Gegnerschaft zur Todesstrafe und den Irakkriegen stört das christlich- konservative Klientel wenig. Mit allen Gottesfürchtigen habe der Papst sich immer eng verbunden gefühlt, behaupten sie, trotz einiger Differenzen. Oder anders ausgedrückt: Dem Pontifex sei ein gläubiger Christ, der für die Todesstrafe ist, allemal lieber gewesen als ein atheistischer Todesstrafengegner. So werden die widerspenstigen Seiten des Verstorbenen hinwegspekuliert.

Um so vehementer werden die amerikafreundlichen Seiten des Papstes betont. Er besuchte die USA öfter als jedes andere Land, abgesehen von Polen. Bush soll er für dessen Moralität bewundert haben, schreibt das „Wall Street Journal“. Anfang der achtziger Jahre soll er mit Reagan ein Bündnis gegen die Sowjets geschmiedet und außerdem die Nato-Nachrüstung unterstützt haben. So interpretiert sich jedes Land seinen eigenen Papst zurecht.

Nun liegen sie auf der Lauer und berichten ohne Unterlass. Die besten Kamerastandorte rund um den Petersplatz und die Sixtinische Kapelle sind bereits vor Jahren für viel Geld vergeben worden. ABC News soll gerade noch einen Coup gelandet haben und in letzter Minute einen Balkon direkt gegenüber dem Petersplatz gemietet haben. In den USA erfährt der erste Medienpapst der Geschichte ein Mediengedenken ersten Ranges.

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