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In den poetisch-komplexen Landschaftsbeschreibungen von Hermann Hesse spiegelt sich der Seelengrund seiner Figuren.

© dpa

Hermann Hesse im 3sat-Film: Gemaltes Schreiben

"Brennender Sommer": Ein Essayfilm mit Peter Simonischeck widmet sich dem Schriftsteller während seiner Jahre im Tessin.

Der Erste Weltkrieg hatte Hermann Hesse aus der Bahn geworfen. Auch sein Privatleben lag in Trümmern. Maria Bernoulli, seine erste Frau, befand sich in einer Nervenheilanstalt, ohne Aussicht auf Genesung. Und so zog der Autor sich im Frühling 1919 ins Tessin zurück. Im milden Klima des Südens schrieb der „abgebrannte Literat, der von Milch, Reis und Makkaroni lebte“, sich in einen Schaffensrausch. In seiner essayistischen Annäherung macht Heinz Bütler, bekannt durch seinen Film über den Fotografen Henri Cartier-Bresson, die Entstehungsgeschichte und den Motivreichtum der Erzählung „Klingsors letzter Sommer“ spürbar, die in dieser Zeit entstand.

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Nun gut, wohl jeder kennt Hermann Hesse aus der Schulzeit. Der seinen Romanen entströmende Duft von Patchouli und Sandelholz ist dem erwachsenen Leser dann irgendwann zu süßlich geworden. In „Hermann Hesse – Brennender Sommer“ findet Bütler jedoch einen erfrischend neuen Zugang zum literarischem Kosmos des Autors. Dazu lässt der Filmemacher den Schauspieler Peter Simonischek Auszüge aus „Klingsors letzter Sommer“ lesen – und zwar in jener Casa Camuzzi, einem schlossähnlicher Palazzo in Montagnola, dem Hesse mit seiner Erzählung ein Denkmal setzte.

Aus dem Mund des Darstellers, der als Toni Erdmann in Maren Ades gleichnamigem Film unsterblich wurde, klingen Hesses autobiographisch inspirierte Reflexionen des Malers Klingsor nicht kitschig. Parallel zur Lesung führen die Schriftsteller Sibylle Lewitscharoff und Alain Claude Sulzer gemeinsam mit dem Hesse-Biografen Michael Limberg und Hesses Enkel Silver Hesse ein Werkstattgespräch.

[„Hermann Hesse – Brennender Sommer“, 3Sat Mediathek]

Ein trockenes Seminar ist dieser Austausch glücklicherweise nicht. Der Zuschauer profitiert von kenntnisreichen Annäherung an Leben und Werk des Literaturnobelpreisträgers. Mit Gewinn nimmt man Teil an Überlegungen zu Hesses eigentlicher Meisterschaft: In den poetisch-komplexen Landschaftsbeschreibungen des Autors spiegelt sich der Seelengrund seiner Figuren.

Das Frauenbild des Autors, dessen Schreiben und Denken noch tief im 19. Jahrhundert wurzelt, wird unterdessen behutsam zurecht gerückt. Glücklicherweise wird Hesse dabei nicht vom Dünkel der politischen Korrektheit gemaßregelt. Und so spürt man die Lust, eine zärtlich angedeutete erotische Szene aus „Klingsors letzter Sommer“ neu zu entdecken: „Wind strich über ihr Haar und nahm ihren Atem mit“.

Kunst ohne wahres Leid?

Fasziniert von van Gogh, hatte der Schweizer Autor ja eigentlich eine Monographie über den niederländischen Maler im Sinn. Doch unter seiner Feder entwickelte sich eine typische Hesse-Figur. Ein Künstler, der betrunken ist vom eruptiven und auszehrenden Energieaufwand jenes Schaffensprozesses, an dem er, wie sollte es anders sein, zugrunde gehen wird. Kunst ohne wahres Leid? Das funktioniert wohl nicht.

So erinnert der Film auch an Josef Bernhard Lang, einen C.G. Jung nahe stehenden Psychoanalytiker, der Hesse maßgeblich dabei half, seine tiefe Depression zu überwinden. Und zwar indem er den damals 40-Jährigen Schriftsteller zum Malen inspirierte. Der Blick auf diese Werke, über deren Bedeutung Hesse selbst sich keinerlei Illusionen hingab, fließt mit ein in diese vielschichtige Annäherung.

Auf ihrem Höhepunkt kulminiert die Klingsor-Erzählung in die virtuos beschriebene Schaffung eines Selbstporträts des Malers als alter Mann. Der Schweizer Illustrator und Zeichner Heinz Egger empfindet diesen rauschhaften Schaffensprozess mit Pinsel und Leinwand nach. In den schönsten Momenten des essayistischen Films fließen Wort, Bild und Musik zu einem Tanz der Farben und Formen zusammen. Angefixt von dieser Sprache, denkt man plötzlich über Veronal nach, jenes Schlafmittel, das Klingsor nach vollendetem Werk einnahm, um nach langem, langem Schlaf Zigaretten für seine Geliebte zu kaufen. 

Manfred Riepe

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