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Frauen im Zweiten Weltkrieg – waren sie Opfer, Mitläuferinnen oder gar mitschuldig? Das ZDF will darauf mithilfe privater Filmaufnahmen und von Tagebüchern Antworten geben.

© Otto Donath/Bundesarchiv/ZDF

„Unsere Mütter, unsere Großmütter“ im ZDF: Historisches Wimmelbuch

Die ZDF-Doku „Unsere Mütter, unsere Großmütter“ setzt auf private Filmaufnahmen und Tagebücher. Herausgekommen ist eine Schicksalserzählung von fünf Frauen in der NS-Zeit.

Welche Rolle spielten Frauen während der NS-Zeit? Man kennt die Propagandabilder: Tanzende Maiden, in „Glaube und Schönheit“ vereint, Flakhelferinnen gefechtsentschlossen, erbgesunder Nachwuchs im Kinderwagen, Häubchenträgerinnen im Kriegslazarett.

Wer war Widerstandsheldin? Wer Mitläuferin? Wer Opfer? Wer Täterin? Die TV-Doku-Galerie „Unsere Mütter, unsere Großmütter“ versucht sich an der Beantwortung einer heute im Genderstreit brisanten Frage: Haben Frauen überhaupt und wenn ja, wie viel Schuld auf sich geladen, dass ein Hitler seine Schreckensherrschaft errichten konnte.

Die Methode dieses ZDF-Films von Autorin Anja Greulich und Autor Kai Jostmeier vertraut dem fernsehgerechten Prinzip der Schicksalserzählung. Fünf Frauen begleitet der Beitrag durch die NS-Zeit. Wo es keine historischen Bewegtbilder gibt, montieren die Autoren Fotografien, Tagebucheinträge und Zeugenaussagen zu kleinen, noch heute mitunter ergreifenden Bildromanen, als hätten die Vorfahrerinnen die Anforderungen des modernen Mediums gekannt.

[„Unsere Mütter, unsere Großmütter. Frauen im Krieg“, Sonntag, 23 Uhr 45 im ZDF und bereits zuvor in der ZDF-Mediathek]

Dazu gehören die Geschichte vom Kummer der gelernten Kindergärtnerin Luise Stieber aus der Nähe von Stuttgart, die jahrzehntelang (vergeblich) auf die Rückkehr ihres Mannes Paul („mein Herzlieb“) aus dem Krieg hofft und die vom Sohn sogar noch nach dem Krieg geschont wird: Der Vater und Ehemann, so erfuhr der Sohn, wurde vom Panzer überrollt. Der Sohn verschwieg es der Mutter. Er wollte ihr seine Albträume von Erde im Mund ersparen.

Das Heldenleben der Berliner Journalistin und Widerstandskämpferin Ruth Andreas-Friedrich – sie half mit der Gruppe „Onkel Emil“ Verfolgten und wurde später in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem geehrt –, sowie die abenteuersüchtige Flucht der Schäferstochter Erika Ohr aus ländlicher Enge als Krankenschwester an die Ostfront, können nur mangels privat aufgenommener Filmaufnahmen rekonstruiert werden.

Welche Wahrheit zeigen sie?

Was aber ist mit den Frauengeschichten, die sich – gefeierte Trouvaille – selbst gefilmter Kamerabilder bedienen können? Zeigen sie mehr? Welche Wahrheit zeigen sie? Die Frage einer Mitschuld von Frauen beantwortet sie sicher nicht. Es geht auf ihnen nicht zu wie im Wimmelbuch: Nirgends ist auf den Originalaufnahmen von damals ein Hinweis mit der Aufschrift: Achtung Schuld/Unschuld zu entdecken.

Lona von Lieres, eine Gutsherrin von Schloss Golkowitz in Oberschlesien, bekommt 1936 von ihrem Gatten eine Filmkamera geschenkt. Sie filmt – vor dem Untergang im Krieg– das Landleben, das die Hobbyfilmerin umgibt: ihre Kinder im Schnee, die Reitpferde, die die Wehrmacht für den Polenfeldzug requiriert, den NS-Kindergarten, den die überzeugte Nazi-Adlige für die Landbevölkerung aufgebaut hat, die Flaggen, die zu Hitlers Geburtstag gehisst werden, das Weihnachtsfest, zu dem ein Sohn während des kurzen Fronturlaubs zurückkommt...

Aber Schuld? Wo und wie wäre die Frage mit selbst gefilmten Bildern aus dem Alltag zu beantworten? Kein unwichtiges Thema, wenn man davon ausgeht, dass das Vermitteln der Geschichte vom Buch in das Medium Doku-Film wandert, das Bilder braucht, immer neue Bilder. Aber die werden nicht automatisch zu historischen Sinnbildern.

Im Oberschlesier-Gutskino

Es sei denn, man entschlüsselte in den Filmen der Laien Hinweise auf versteckte Ängste, die Verdrängungsanstrengungen der Hobbyfilmer, irgendwelche Abgründe in der braven Optik. In dem Oberschlesier-Gutskino von Lona von Lieres wäre das die Ahnung des nahenden Untergangs. Man wünscht sich mehr Sendelänge für die Dokumentation als 45 Minuten, damit sie in den Aufnahmen suchen und erklären könnte.

Besonders gilt das für den schrecklichsten Beitrag aus dem Schicksalsreigen. Die Chefarztgattin Ilse Schünemann aus dem sächsischen Meerane bei Zwickau filmt ihr Leben zwar nicht selbst, wird aber, bis der Krieg ausbricht, von ihrem Mann mit der Kamera begleitet. Drei Schünemann-Söhne gehen an die Front, der Mann ist im Lazarettdienst. Zwei Söhne fallen. Die Frau verzweifelt: „Ohne Deutschland kann ich nicht leben.“

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Ilse Schünemann vergiftet sich 1945 und nimmt ihre beiden kleinen Töchter mit in den Tod. Genauso unmoralisch selbstherrlich wie die Nazi-Medea Magda Goebbels. Schünemann schreibt in einem Brief: „Ich habe den Mädels das Leben gegeben und darf es ihnen auch nehmen.“

Keine der privaten Kameraaufnahmen kann diesen grausigen Satz Ilses aus einem der letzten Briefe erklären. Das gefilmte Alltagsjetzt der Vergangenheit deckt wenig auf. Die ermordeten Mädchen tragen weiße Kleider, der Chefarzt planscht mit seinen Jungs, die spätere Kindesmörderin im Matronenkostüm genießt den Ostseeurlaub. Die Bilder lullen ein. Müssen wir genauer hinsehen? Müssen wir sie lesen lernen?

Der Film „Unsere Mütter, unsere Großmütter“ ist gerade deshalb sehenswert.

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