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Medien: Im Sturm der Kritik

Nach „Katrina“ stellen sich selbst konservative Medien gegen die US-Regierung

Hat Hurrikan „Katrina“ die US-Medien verändert? Manche Beobachter haben eine neue Distanz zur Regierung entdeckt und eine neue Emotionalität. Journalisten in den Katastrophengebieten werfen Bundesbehörden wütend vor, sie hätten versagt. Die Reporter weinen vor Kameras, brüllen Regierungsvertreter an. Da ist kein nationaler Schulterschluss zu spüren wie bei der letzten großen Katastrophe, den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Und auch keine Tendenz, im Zweifel erst mal der Darstellung der Regierung zu glauben, wie in der Debatte um Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen. Nicht einmal mehr auf die Treue des konservativen TV-Senders Fox kann sich Präsident Bush verlassen.

In der Tat: Solch einen Entrüstungssturm gegen die Regierung hat es lange nicht gegeben. Doch was davon ist dauerhafte Veränderung, was nur Momentaufnahme? Bei aller vordergründigen Ähnlichkeit im Trend – auch die Zeitungskommentare überziehen die staatlichen Behörden mit beißender Kritik – sind die Unterschiede zwischen Print und Fernsehen größer als die Gemeinsamkeiten.

Das Fernsehen kennt seit fast zwei Wochen nur noch ein Thema: den Hurrikan und die Folgen. Die Selbstmordattentate im Irak, die den ganzen August ein Hauptthema waren, gibt es zwar weiterhin, aber nicht mehr für die US-Sender. 24 Stunden lang, vielleicht waren es auch 36, durfte der Oberste Gerichtshof am Sonntag und Montag neben „Katrina“ die Öffentlichkeit interessieren: Chief Justice Rehnquist war gestorben, Bush beförderte John Roberts, seit Mitte Juli sein Kandidat für die Nachfolge der einfachen Richterin Sandra Day O’Connor, zum Aspiranten auf den höchsten Juristenposten im Staat.

Wer nicht nur auf die Entrüstungswelle seit Freitag schaut, sondern die ganzen letzten zwei Wochen Revue passieren lässt, wird vielleicht eher diesen Eindruck gewinnen: Früh hatten die Medienmanager kalkuliert, dass Naturkatastrophen und menschliches Leid Quotenknüller sind. Noch bevor „Katrina“ die Küste erreichte, hatte CNN sich zum wahren „Hurricane Headquarter“ des Landes erklärt – und zog die anderen Sender nach. Die Berichterstattung wirkt, als würde alle ein bis zwei Tage ein neuer Slogan ausgerufen, den man durchhält, ganz egal, was am Boden tatsächlich passiert.

Am letzten Augustwochenende war das der Nervenkitzel, ob Amerika vor der größten Naturkatastrophe seiner Geschichte steht. Zum ersten Mal würde eine Großstadt vom Zentrum eines Hurrikans der Stärke 5 getroffen. Am Montag folgte Erleichterung, das Zentrum war östlich an New Orleans vorbeigezogen. Am Dienstag neues Entsetzen: gebrochene Deiche und Menschen, die von den Dächern ihrer Häuser um Rettung flehen. Mittwoch schwenkten die Kameras nach Gulfport und Biloxi, die Städtchen, die der Sturm mit voller Wucht getroffen hatte; Donnerstag zurück nach New Orleans auf das Leid im Superdome, die Heckenschützen, die Gewalt. Jetzt erst, man schrieb den 1. September, entwickelten sich drei Themen parallel, die sich in den nächsten Tagen abwechselten: das – gar nicht unberechtigte – Prügeln auf versagende Bundesbehörden; der Verdacht, die Verzögerung der Rettung armer Schwarzer offenbare Rassismus bis ins Weiße Haus, und die Kritik an einem allzu coolen Präsidenten, der seine Führungsaufgabe nicht erfüllte. Nur merkwürdigerweise wurde die immer nur vom Fernsehstudio aus geäußert, nicht im Angesicht Bushs an den Orten, die er am Freitag besuchte. Nach seiner Reise in die Notstandsgebiete am Montag verebbte diese Kritik.

Mittlerweile tun die Sender, voran CNN, so, als seien sie die Hauptakteure. Sie wissen immer genau, was eigentlich zu tun wäre. Zurzeit feiern sie sich als die Institution, die verlorene Familienangehörige zusammenführt. Es stimmt ja auch: Niemand versorgt die Welt schneller und zuverlässiger mit „breaking news“. Aber mit etwas weniger Selbstbeweihräucherung wäre es leichter zu ertragen.

Amerikas große Zeitungen dagegen sind ein Muster an Aufklärung. 36 Seiten umfassen seit zwei Wochen Tag für Tag allein die Politikteile der „New York Times“ oder „Washington Post“. Die Grundversorgung mit nationalen und Weltnachrichten bleibt gesichert. Kommt ein Thema wie der Supreme Court dazu, wird ein zusätzliches Buch mit mindestens 16 Seiten „Katrina“-Berichten eingelegt.

Ein neuer Trend im US-Journalismus? Vielleicht hilft auch diese Erklärung weiter: Erstens haben die Bundesbehörden wirklich zu langsam reagiert. Zweitens war die Lage nach dem Terror am 11. September ganz anders. Damals gab es einen äußeren Feind, gegen den sich die Emotionen richten ließen. Die Reporter standen auf derselben Seite wie die Regierung. Jetzt waten sie im gleichen Dreck wie die Opfer, haben keine klimatisierten Hotels, keinen Laden, in dem man schnell mal eine kühle Cola kaufen kann, keine Steckdose, um das Handy aufzuladen – und die Benzinversorgung für den nächsten Tag ist auch nicht gesichert.

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