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Hauptdarsteller, Regisseur, Autor: Jerry Lewis bei den Dreharbeiten 1972

© NDR/Rune Hjelm

Jerry Lewis drehte Holocaust-Film, der nie ins Kino kam: Wo war die Comedy im KZ?

„The Day The Clown Cried“: Jerry Lewis ist an seiner Holocaust-Groteske gescheitert. Sagt Jerry Lewis. In der ARD-Doku "Der Clown"

„Ich habe es nicht hingekriegt“, sagt Jerry Lewis. Nüchtern, lakonisch, seine Schultern wollen über die Niederlage hinwegzucken. Lewis wird am 16. März 90 Jahre alt, längst wird dieser „King of Comedy“ in einer Reihe mit Buster Keaton und Charlie Chaplin gesehen. Aber diesen einen Film, sagt er, den habe er nicht hingekriegt. Lewis’ Kinobiografie ist ellenlang, da sind bahnbrechende Arbeiten wie „Der verrückte Professor“ oder Martin Scorseses „The King of Comedy“ dabei. 1972, die Kassenerfolge dieser Personalunion von Autor, Regisseur und Schauspieler hatten spürbar nachgelassen, begann Lewis mit „The Day The Clown Cried“; er hatte das Buch geschrieben, er führte selbst Regie, er spielte die Hauptrolle. Der Film handelt von dem deutschen Clown Helmut Doork, der in ein Nazi-Konzentrationslager verschleppt wird, nachdem er Hitler parodiert hat. Helmut bleibt dort seiner Clownsrolle treu, er ist der Trost und der Liebling der Kinder, er führt sie in die Gaskammer, er entscheidet sich, sie in den Tod zu begleiten. Der Film wird gedreht in Frankreich und Schweden, exzellent besetzt mit dem französischen Oscar-Schauspieler Pierre Etaix, mit der Bergmann-Actrice Harriet Anderson, Kameramann ist der schwedische Oscar-Preisträger Rune Ericson.

Der Film bleibt unvollendet, kommt nie in die Kinos

„The Day The Clown Cried“ kommt nie in die Kinos. Der Film bleibt unvollendet, außer Jerry Lewis haben ihn nur eine Handvoll Personen gesehen. Der Film ist ein Phantom, ein Kino-Phantom. In dem Dokumentarfilm „Der Clown“, am heutigen Mittwoch in der ARD, wird von diesem scheinbaren Phantasma berichtet.

Die fast zwei Stunden erzählen die Filmstory. Eric Friedler – „Das Schweigen der Quandts“, „Das Mädchen – Was geschah mit Elisabeth K.?“, „The Voice of Peace – Der Traum des Abie Nathan“ – erzählt sie. Lewis war fast elf Monate vor den Dreharbeiten durch Europa gereist, er war in den Konzentrationslagern Bergen-Belsen, Dachau, Auschwitz, er hatte einen ehemaligen SS-Wächter als Berater engagiert, er wollte erfahren und wissen, wie die Vernichtungsmaschinerie der Nazis bis ins Detail funktioniert hatte.

Jerry Lewis wollte eine Groteske drehen, den Spalt zwischen Komödie und Tragödie schließen. „The Day The Clown Cried“ war 1972 ein früher, radikaler Versuch, den Holocaust filmisch zu bewältigen. Sechs Jahre vor der US-Serie „Holocaust“, 13 Jahre vor Claude Lanzmanns „Shoah“ und 25 Jahre vor Roberto Benignis „Das Leben ist schön“, der Wiederbelebung und der Realisierung von Lewis’ Grundidee: „Comedy kann dem Schrecken eine ungeheure Deutlichkeit verleihen.“

Jerry Lewis macht sich mit hohem persönlichen, später auch finanziellem Risiko an die Arbeit. In der Rückschau wird er sagen, „The Day The Clown Cried“ sei missraten, wo sei die Comedy gewesen, als man die Juden vergast habe? Ausschnitte aus den 24 Minuten verfügbarer Film zeigen, dass die Produktion das Drama betont, beinahe übertrieben in der Beklemmung. Lewis sagt im Interview: „Ich habe mich zutiefst geschämt, ich habe eine schlechte Arbeit abgeliefert.“ Ob das stimmt? Der Film wurde nie gezeigt – und Lewis’ Prestigeobjekt wurde darüber zur Legende und zur Leerstelle in seiner Filmografie.

Schauspieler von damals spielen nach Drehbuch

Eric Friedler spürt der Produktion auf verschiedenen Wegen nach. Gemeinsam mit den letzten sechs noch lebenden Schauspielern und Teammitgliedern, die an der Produktion beteiligt waren, reportiert er die Geschichte der Dreharbeiten – und mehr als das: Er holt die teils hochbetagten Schauspieler im Frühjahr 2015 in Stockholm zusammen. Sie besitzen noch ihre Drehbücher, sie spielen noch einmal Szenen des Films nach, spüren dem Erlebten, dem Nie-Gezeigten nach, suchen Antworten, wollen vor langen Jahren Begonnenes für sich zu einem Ende führen. Sie bringen „The Day The Clown Cried“ zu einem, zu ihrem Ende. Zugleich durchbrechen sie die vierte Wand, sie treten aus ihren Rollen heraus, berichten von den Dreharbeiten, legen Zeugnis ab von ihrer Bewunderung für Jerry Lewis, der damit einen künstlerischen Neustart wagte. Jean-Jacques Beineix („Diva“, „Betty Blue“) war Regieassistent in Paris. Er spricht den schwedischen Produzenten Nat Waschberger schuldig, der sich weder um eine ausreichende Finanzierung gekümmert habe noch um die Sicherung der Rechte.

Tatsächlich, so zeigt Friedlers Recherche, besaß Lewis, der nach dem Abbruch der Dreharbeiten die Produktion selber übernehmen wollte, gar keine Rechte am Stoff; zur Wahrheit gehört auch, dass Joan O’Brien, die Autorin der Drehbuchvorlage, von dem Filmergebnis, als Lewis es ihr vorlegte, entsetzt war.

Das Projekt war nach 116 Drehtagen endgültig, Jerry Lewis war endgültig gescheitert. Er erzählt davon in zahlreichen Interviewpassagen, schon das eine besondere Leistung von Friedlers „Clown“, weil der Mythos künftig ohne Mythen auskommen muss. Das Scheitern wird erklärt und aufgeklärt, den Film aber wird das Publikum nicht zu sehen bekommen, jedenfalls so lange nicht, wie Jerry Lewis eine Hand draufhalten kann.

Wenn sich die Schauspieler von heute in ihren Rollen von damals bewegen, wenn sich Gestern und Heute, wenn sich das Verliebtsein in den Erfolg und das Eingeständnis der Niederlage verschränken, dann spürt der Zuschauer über diese einzigartige Inszenierung, dass damals, vor der großen, medialen Aufarbeitung des Holocaust das Zusammendenken von „Clown“ und „Konzentrationslager“ zu kühn gewesen sein mochte. „The Day The Clown Cried“, das war keine weitere Jerry-Lewis-Komödie, das war ein Projekt mit zeit- und filmhistorischer Relevanz. Ein Implantat im Menschheitsgedächtnis hätte es werden können.

War der Film groß oder war er klein?

Eric Friedler, der vielleicht führende Anthropologe unter Deutschlands Dokumentarfilmern, hat das gewaltige Material fest im Griff, mit dem Nachspielen wichtiger Filmszenen weitet er es noch aus. Aber gerade Momente sind es, die die Wucht und die – hier endlich passt das Wort – die Betroffenheit der Beteiligten erneut spürbar werden lässt. Vielleicht war der Film doch groß, wundervoll, wie einige sagen. Die Ausschnitte lassen den Zuschauer in seinem Urteil schwanken, auch deshalb, weil heute, im Jahr 2016, ein gerechtes, richtiges Urteil über eine Holocaust-Groteske von 1972 nur verzerrt möglich ist. Eric Friedler jedenfalls verneigt sich vor Jerry Lewis, wie auch die damaligen Schauspieler und Teammitglieder. Es gibt kein größeres Scheitern als das Scheitern im Großen. Ein amerikanischer Jude spielt einen deutschen Clown in einem Nazi-KZ, er schreibt das Drehbuch, er inszeniert. Der Clown geht mit den Kindern in den Tod, nachdem er sie in die Gaskammer geführt hat. „The Day The Clown Cried“.

Jerry Lewis sagt, dieser Film werde ihn bis zu seinem Tod verfolgen, schon tausend Mal habe er sich gefragt: „Wo war die Comedy?“

„Der Clown“, ARD, Mittwoch,

um 22 Uhr 45

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