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© ZDF

Israel: "Kein Journalist sollte hier Prophet spielen"

Korrespondent in Israel – ein Gespräch mit Christian Sievers über Irrtümer, Kontakte in Gaza, den Holocaust und Party in Berlin.

Herr Sievers, Sie arbeiten seit einem halben Jahr in Tel Aviv. Was mussten Sie erfahren, was Sie nicht geahnt haben, was mussten Sie akzeptieren lernen?



Ich habe mir angewöhnt, genau darauf zu achten, dass der Handy-Akku immer voll ist. Ausserdem habe ich hier einen speziellen SMS-Service, der sofort informiert, sobald etwas passiert. Man darf nie vergessen, dass sich hier von heute auf morgen, von einer Stunde zur nächsten die Situation ändern kann, sie kann immer eskalieren.

Sie kamen aus Berlin nach Israel. Welche falschen Perspektiven hatte Ihr Israel-Bild?

Ich glaube, es ist ein Fehler, wenn Sie mit einem festgesetzten, festgefahrenen Bild irgendwohin kommen. Dann haben Sie von Tag eins an nur Probleme. Dieses Bild erneuert, entwickelt sich täglich. Was mich immer wieder überrascht: Es gibt nichts, was es hier nicht gibt. Zu jeder Meinung finden Sie ein paar Kilometer weiter die komplette Gegenmeinung. Und das nicht nur zwischen Israelis und Palästinensern, sondern auch innerhalb der jeweiligen Gruppen. Es ist unfassbar vielschichtig.

Welche Rolle spielt ein deutscher Sender wie das ZDF für die israelische Öffentlichkeit, für die Politik des Landes?

Das ZDF wird ohne Frage als wichtiger Sender in Deutschland wahrgenommen, speziell von Politikern, Wissenschaftlern, die Deutschland gut kennen, oft dorthin fahren, Kontakte haben. Aber so weit, dass der Normalbürger auf der Straße sagt: „Ach, Sie sind doch der vom ZDF“, wird es nicht kommen.

Haben Sie Schwierigkeiten, Gesprächspartner zu bekommen?

Ohne Kamera über kontroverse Themen zu reden, ist natürlich leichter, als wenn man das filmen will. Aber generell sind die Zugänge einfacher, als ich es erwartet hatte. Es ist hier völlig normal, dass man zu Regierungssprechern oder Regierungsmitgliedern sagt: „Ich bin zufällig in der Gegend, können wir mal einen Kaffee trinken gehen?“ – und dann gehen wir einen Kaffee trinken und reden. So wäre das in Berlin undenkbar. Das hat hier wohl auch mit der Mentalität zu tun, mit diesem Von-Tag-zu-Tag-Leben, auch mit einem Von-Tag-zu-Tag-Regieren. Aber klar ist natürlich auch: Wenn wir sagen, in zwei Stunden hätten wir gerne ein Interview mit Ministerpräsident Netanjahu, dann laufen wir vor eine Wand.

Jeder Korrespondent hält sich für den wichtigsten, kämpft um seinen Platz, seinen Bericht in den Nachrichten. So gesehen haben Sie es nicht schwer, oder? Israel, der Nahe Osten ist immer ein Thema.

Wir müssen alle jeden Tag den Finger wieder heben, und das ist auch richtig so. Vielleicht haben wir hier, was die Nachrichten angeht, einen kleinen Startvorteil. Was im Nahen Osten passiert, das hat Auswirkungen auf die ganze Welt. Ich finde es aber sehr wichtig, dass wir Israel und die palästinensischen Gebiete auch jenseits von Krise, Streit, Gewalt abbilden – das tägliche, alltägliche Leben hier eben. Das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt. Und wenn Sie über die Kulturszene in Tel Aviv berichten wollen oder die unglaublich innovative Nation, die Israel ist, dann sind sie natürlich sofort im Wettbewerb mit Orten wie London, Tokio oder New York.

Sie sind auch zuständig für die palästinensischen Autonomiegebiete. Können Sie sich dort so bewegen, wie Sie wollen?

Da muss man zwischen Gaza und dem Westjordanland unterscheiden. Wenn Sie nach Gaza rein- und vor allem wieder rauswollen, dann müssen Sie mit strengsten Kontrollen, Durchleuchtung, Nacktscannern rechnen. In den Gebieten selbst können wir uns sehr gut bewegen …

… in Gaza wie im Westjordanland? ...

… ja, in beiden Regionen haben wir gute lokale Kontakte, ohne die gar nichts geht. Da können Sie halt nicht mal schnell die Pressestelle anrufen. Sie müssen den entscheidenden Menschen kennen oder einen, der wiederum den entscheidenden Menschen kennt. Das macht auch die Tradition dieses Studios aus. Ich profitiere von dem, was die Kolleginnen und Kollegen über Jahre aufgebaut haben.

Arbeiten Sie in den Autonomiegebieten auch mit Stringern?

Ja. Das sind Mitarbeiter, die schon lange für das Studio tätig sind, auf die wir uns verlassen können und die eben diese eminent wichtigen Kontakte haben. Wenn Sie einen Hamas-Führer interviewen wollen, werden Sie dessen Nummer nicht im Telefonbuch finden. Den Kontakt herzustellen, das ist das A und O.

Müssen Sie das Material vorlegen, nehmen Sie das Wort von der „fürsorglichen Zensur“ in den Mund?

Dass mir einer über die Schulter schaut oder gar verlangt, den Beitrag umzuschneiden, habe ich bisher nicht erlebt. Hängt sicherlich auch davon ab, welche Situation – relativ friedlich oder nicht – gerade herrscht. Das läuft dann auch subtiler, im Vorfeld ab. Wenn beispielsweise die Armee kein Interesse daran hat, dass bestimmte Bilder entstehen, dann wird sie alles daransetzen, dass diese Bilder nicht entstehen. Dann gibt es eben keine Drehgenehmigung. Nehmen Sie den letzten Gazakrieg: Was nicht gedreht werden konnte, weil lange kein Journalist nach Gaza durfte, das musste auch nicht kontrolliert werden.

Wie behilft sich ein Fernsehkorrespondent, der ja ein Bildermedium beliefern muss, dann beim Geheimdienst Mossad, der gerade mit dem Mord an dem Hamas-Mann in Dubai in Verbindung gebracht wird?

Wenn man der Polizei in Dubai folgt, dann gibt es bei diesem Fall für eine Geheimdienstoperation geradezu unglaubliches Bildmaterial. Dutzende von Überwachungskameras haben ja angeblich fast lückenlos aufgezeichnet, was man bislang nur aus Hollywood kannte. Die Bilder laufen im israelischen Fernsehen praktisch in Endlosschleife. Generell ist das Bildmaterial in Sachen Mossad, wie man sich denken kann, sehr übersichtlich. Es gibt Bilder vom Chef, eine offizielle Webseite – und das Statement: „Kein Kommentar“.

Im Nahostkonflikt wird permanent die Schuldfrage traktiert. Ist es da schwierig, einen objektiven Standpunkt zu entwickeln?

Ja, das ist sehr schwierig, was aber nicht heißt, dass man es nicht immer wieder versuchen muss. Es gibt Punkte, die sich einer endgültigen Klärung durch Journalisten entziehen. Dann bleibt nur, die verschiedenen Positionen eben nebeneinander darzustellen. Und dazu versuchen beide Seiten einen auf die eine oder die andere Seite zu ziehen. Das wird oft sogar offen zugegeben. Da aber die eine wie die andere Seite an einem ziehen, fällt es leichter, in der Mitte zu bleiben.

Kann sich ein Journalist aus Deutschland anders als proisraelisch verhalten?

Ich habe nicht die Aufgabe als Korrespondent, an eine Nachricht mit der Sicht pro irgendwen heranzugehen. Eine Nachricht bleibt eine Nachricht. Ich werde jetzt auch keine Zukunftsprognose für diese Region abgeben. Ich finde, ein Journalist sollte gerade hier nicht versuchen, den Propheten zu geben.

Der Holocaust als das biblische Verbrechen der Deutschen. Beeinflusst das Ihre Arbeit?

Es beeinflusst natürlich unsere Arbeit, weil der Holocaust und die damit zusammenhängenden Fragen immer wieder Gegenstand unserer Berichterstattung sind. Zum Beispiel wenn es um Veranstaltungen und Begegnungen geht, die die Gedenkstätte Jad Vashem in Jerusalem organisiert. Als Thema ist der Holocaust für die ältere Generation hier viel bestimmender als für junge Israelis. Wir haben für das „heute-journal“ eine Straßenumfrage zum deutsch-israelischen Verhältnis gemacht. Das war in Tel Aviv, in einer coolen Gegend mit vielen jungen Leuten. Nun taugen Straßenumfragen nicht für komplexe Fragestellungen, also habe ich schlicht wissen wollen: „Welche drei Begriffe fallen Ihnen zuerst ein, wenn Sie ,Berlin’ hören?“ Keiner hat das Wort „Holocaust“ genannt. Die meisten sagten „Party“, „Musik“ und „Spaß“. Das waren junge Leute, Tel Aviv steht nicht für ganz Israel und natürlich ist die Vergangenheit immer präsent. Trotzdem zeigt sich gerade an Berlin, welch positives Bild da entsteht.

In welchen Moment verkrampft sich das Verhältnis dann doch?

Die israelischen Medien, die israelische Öffentlichkeit nehmen antisemitische Vorfälle sehr genau wahr. Genauso aufmerksam registrieren sie, wer wie darauf reagiert. Das bestimmt das Bild, das verschwindet nicht auf der letzten Zeitungsseite, nicht unter „ferner liefen“ in den Fernsehnachrichten. Das macht auch die Arbeit des Korrespondenten doppelt interessant. Die Israelis interessieren sich sehr dafür, was in Deutschland passiert und wie die Deutschen ihr Land sehen.

Das Interview führte Joachim Huber.

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