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Raubein und Quotenfrau. Die Kommissare Alexander Bukow (Charly Hübner) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau) tun sich bei der Ermittlung schwer. Foto: NDR

© ddp

Krimi: Wilder Osten

„Polizeiruf 110“: Auch in ihrem zweiten Fall ecken die neuen Rostocker Ermittler an - in einem explosiven Krimi.

„Eh, 17 Euro, Minenräumkommando, ich red’ mit dir!“ Es gibt einen Typus des mit sich und der Zeit Zerfallenen, den trifft man immer häufiger, nicht nur in den großen Städten. Aber selten findet er sich so genau porträtiert wie am Anfang dieses „Polizeirufs“.

Ein Penner mit Aldi–Tüte pöbelt durch das Eiscafé einer Ladenpassage. Er will den Gästen ein paar selbst gemalte Bilder aufdrängen, 17 Euro das Stück, er nimmt ihnen den Kaffee oder das Eis vom Tisch und stellt sie vor einen Passanten, zu dem Kaffee oder Eis viel besser passen. Findet er. Eine Souveränitätserklärung ist das schon. Und dann – hierin unterscheidet er sich von den meisten seiner Art, die sich selbst noch nie gefunden und doch schon wieder verloren haben – wirft der Penner aus seiner Tüte Geldscheine in die Luft. Ein Junge fängt sie auf. Sein Vater schaut den Penner an, als würde er ihn kennen. In den etwas kleineren Städten passiert das. Und er folgt ihm. Kurz darauf geht eine Mine in die Luft. Das ist nicht wenig bis zum Vorspann. Und die restlichen 87 Minuten werden nicht gerade langsamer. Edward Bergers Krimi „Aquarius“ bleibt so explosiv wie sein Beginn.

Die erste Folge des neuen Rostocker „Polizeirufs“ hatte eine bemerkenswerte Einschaltquote. Über acht Millionen Zuschauer. Es gibt Grund zu vermuten, die acht Millionen werden auch heute nicht enttäuscht sein. Vielleicht hat es eine zweite Folge noch schwerer als die erste. Denn lässt sich eigentlich etwas Ermüdenderes denken als ein neuer Fernsehkommissar? Höchstens ein neuer Kommissar mit neuer Co-Ermittlerin und zwischen ihnen das immer neue, immer alte Geplänkel. Aber nichts davon hier. Die beiden Kriminalisten Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Alexander Bukow (Charly Hübner) wagen sich in Bereiche, die das Fernsehkrimiformat normalerweise meidet.

Bukow ist vielleicht schon jetzt der heimatverbundenste oder herkunftsbelastetste Kommissar des deutschen Fernsehens. Der etwas fragwürdige Charme des Nordens lässt sich von Frechheit nicht immer klar unterscheiden, was auch nie in seiner Absicht lag. Aber festzuhalten ist schon jetzt die ganz besondere Eignung des Nordmenschen für das Kriminalistenwesen. Der großstädtische Nichtküstenbewohner versucht normalerweise, Situationen zu moderieren, zu entspannen. Dem Mecklenburger liegt das fern. Einer wie dieser Bukow hält sie aus, wartet ab, ob sich das nicht noch steigern lässt. Und wenn er doch einmal ein erhebliches Mitteilungsbedürfnis spürt, ist das auch kein gutes Zeichen, etwa als Bukow erfährt, dass sich auf dem Computer seiner Kollegin Dateien eines Falles befinden, in dem er einmal ermittelte: „Hör auf mit dem Gelaber, Mädchen! Was macht das auf deinem Rechner, du Quotenfrau?“ Und das ist dann überhaupt nicht ironisch gemeint. In Bukows Weltbild ist der Berufsstand des Fall-Analytikers, genauer: der Fall-Analytikerin, einfach nicht vorgesehen.

Allerdings steht der Kommissar auch unter erheblichem Stress, denn in gewissem Sinne ist seine kriminalistische Bilanz bis jetzt tatsächlich bedenklich. In der letzten, also der ersten Folge hatte er einen alten Bekannten als Haus-Postboten eingestellt, schon deswegen, weil ein alter Rostocker dem anderen hilft. Bloß ist der neue Postbote jetzt bereits tot. Genau wie der Mann, der dem Aldi-Tüten-Maler hinterherlief.

Nein, Rostock geizt auch beim zweiten Mal nicht mit Toten. Interessant ist nunmehr, dass Katrin König (gelassen-kühl: Anneke Kim Sarnau) und ihr Mitkommissar auf ein altes Foto stoßen, das beide Tote in besseren, lebendigeren Tagen gemeinsam zeigt: als Kampfschwimmer der Volksmarine, einer Eliteeinheit.

„Wollte keiner mehr haben, unsere Marinetaucher bei der Bundeswehr“, deutet Bukow den Weg einer verwildernden Elite und ihres Zusammenhalts im Namen des Gestern an. Und im Namen des Goldes! Edward Berger, dessen Schimanski-Folge „Asyl“ für den Grimme-Preis nominiert war, hat in fast dokumentarischem Stil einen atemlosen Beinahe-Thriller gedreht, mit der DDR als Spezialfall des Wilden Westens im Hintergrund. Und mit Pink Floyds „Animals“ als musikalischer Brücke von „Quotenfrau“ zu Kommissar und zurück.

„Polizeiruf 110“, 20 Uhr 15, ARD

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