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West-Kollege Peter Simon (Fabian Hinrichs), Ost-Kommissarin Karo Schubert (Nadja Uhl, Mitte) und Frauke Beckmann (Henriette Hölzel) sollen gemeinsam ermitteln.

© ARD/W&B Television GmbH/Merav Ma

Kriminalität in der Wendezeit: ARD-Serie „Zerv“: Deutschland 91

Wessi, Ossis, Waffenhandel, Kindesmisshandlung: Die ARD-Serie „Zerv“ haut einem Sentiments und Verbrechen der Wendezeit um die Ohren. Und offenbart Stärken und Schwächen eines Boom-Formats.

Wir sind ungefähr in Minute 270 der ARD-Serie „Zerv“, kurz vorm Ende. Die Hauptfigur Peter Simon alias Fabian Hinrichs ist verzweifelt, eine private Geschichte, und wir begreifen sie plötzlich besser als in den über vier Serien-Stunden zuvor, eingetaucht in die Arbeit der „Zerv“, der Zentralen Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität (Zerv), einer zwischen 1991 und 2000 real existierenden Berliner Polizeibehörde zur strafrechtlichen Aufarbeitung der SED- und DDR-Vergangenheit.

Es hat jedenfalls schon sympathischere und plausiblere Helden gegeben als diesen Peter Simon, der in Berlin 1991 zur Sondereinheit Zerv stößt, an die Seite von Hauptkommissarin Karo Schubert (Nadja Uhl). Wessi meets Ossi. Beide müssen im Mordfall eines hohen Mitarbeiters des Abrüstungsministeriums, beauftragt mit der Auflösung der Nationalen Volksarmee, ermitteln. („Zerv“, sechs Folgen, ARD-Mediathek, ab 22. Februar, 20 Uhr 15 im Ersten).

Beide beanspruchen den Mordfall für ihre Abteilung und ermitteln notgedrungen zusammen. Beide machen das auf ihre Weise, und es gehört nicht allzu viel Fantasie dazu, dass Simons Credo „Scheiß Osten! Ihr könnt es ja doch nicht!“ über sechs Folgen wenig Bestand haben wird, weil da ja irgendwo ein verletzlicher Kern sein muss.

Dafür hat die Zerv viel zu viel zu tun, im Großen und Kleinen, in  Familien, in alten und neuen Seilschaften. Es geht um Regierungs- und Wirtschaftskriminalität: Waffenhandel im großen Stil, Zwangsadoptionen, Misshandlung an Jugendwerkhöfen, jenen Einrichtungen mit Jugendlichen, die im Sinne der DDR-Pädagogik als schwererziehbar galten. Ermittlungen, die immer wieder an gläserne Decken stoßen.

Alles in allem ein ambitionierter Geschichtenritt, der, so die verantwortliche MDR-Redakteurin Johanna Kraus, in der Tradition der erfolgreichen ARD-Serie „Weissensee“ stehen soll, die ihren Anlauf im Untergangsjahrzehnt der DDR nahm, paradigmatisch erzählt am Schicksal einer Familie .

Um hier nicht zu viel zu verraten und es inhaltlich kurz zu machen: „Zerv“ hat nicht den epischen Atem wie „Weißensee“ oder „Deutschland 83“ bis „Deutschland 89“, ist alles in allem aber ein durchaus kurzweiliges Fernsehvergnügen mit starkem Cast, in dem die Protagonisten Fabian Hinrichs, Nadja Uhl (als toughe Ermittlerin, die die familiären Schatten der Vergangenheit ebenfalls nichts loslassen), Rainer Bock (als Simons Chef Hans Thieme) und vor allem Thorsten Merten als traurig-großkotziger MöchtegernWendegewinnler Hajo Gärster über manche Buchschwäche und plakative Wessi-Ossi-Momente hinwegspielen.

Damit zur bewegenderen, zur Formatfrage. Vielleicht sollte sich „Weißensee“ aus dem Kopf geschlagen werden, vielleicht ist man mit dem Blick auf horizontal erzählte Serien angloamerikanischer Herkunft wie „Fargo“ zu verwöhnt, vielleicht wird es sich in deutschen Redaktionsstuben und Produktionen aber auch zu einfach gemacht mit dem Prinzip Miniserie.

Gemäß der Digitalstrategie von ARD-Programmchefin Christine Strobl

„Eldorado KaDeWe“, „Der Palast“, „Schneller als die Angst“, nun „Zerv“ – kaum eine Woche ohne eine neue Miniserie von ARD und ZDF. Was früher zu Zeiten vom „großen Bellheim“ noch Fernsehfilm beziehungsweise Event-Vierteiler hieß, läuft nun als Sechsteiler, gemäß der Digitalstrategie von ARD-Programmchefin Christine Strobl gerne zum Bingewatchen in der Mediathek vorab, gerne mit Stoffen der jüngeren deutschen Vergangenheit.

Im Unterschied zu Dauerserien sind Miniserien in sich abgeschlossene Geschichten, auf das Ende hin geschrieben. Fortsetzung eher nicht, Ausnahmen bestätigen die Regel.

Der Vorteil so eines 270-Minüters gegenüber einem 90-minütigen Spielfilm liegt auf der Hand. „Serien haben die Chance, komplexer und aus mehreren Perspektiven zu erzählen“, sagt Oliver Schütte, Autor, Dramaturg und Gründer der Master School Drehbuch. Dies habe zu einer veränderten Rezeption geführt. Wir lernen zunehmend, dass wir mit dieser vielschichtigen Art des Erzählens umgehen können. „Wir erwarten es zunehmend auch. Genauso wie wir die Lust entwickeln, endlich einmal an einem Abend mit einer Geschichte fertig zu sein.“

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Zum Konzept gehört die Cliffhanger-Struktur, die bei „Zerv“ nun mitunter zu einer gewissen Atemlosigkeit führt, die der Entwicklung, der Vielschichtigkeit der Figuren zuwiderläuft. Das wirkt dann eher wie ein Angriff aufs Erzählen. Es gibt ja nicht nur die Lust, an einem Abend zum Ende zu kommen, sondern auch die des Nachvollzugs. Mehr character driven.

Warum lässt man in „Zerv“ beispielsweise die offenbar schwere persönliche Verstrickung und Vorgeschichte der – gar nicht mehr so unsympathischen – Hauptfigur Peter Simon so spät aus dem Sack? Steht da der Redakteur im Hintergrund, der den Writers Room drängt: Jetzt lasst es gleich mal wieder krachen?

Jede Serienfolge muss den Wunsch nach „Weiterschauen“ erzeugen, klar. Das ist Teil der Dramaturgie. Waffenlagerexplosion, Giftanschlag – man kann bei „Zerv“ zum Ende einer jeden Episode die Uhr danach stellen, dass es kracht (das war beim „Palast“ ähnlich).

Das wirkt hier so, als ob der Geschichte, den Figuren nicht genug zugetraut wird. Im Spielfilm, der in einem Stück geschaut wird, gibt es diese Aufgabe an die Erzählung nicht. So stellt sich in „Zerv“, Minute 270, bei aller Kunst von Regisseur Dustin Loose und des sechsköpfigen Writers’ Rooms die Frage, was wohl ein Dominik Graf daraus gemacht hätte.

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