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„Jetzt hört doch mal auf zu schießen“, beschwert sich ein User. „Ihr könnt uns auch einfach verhaften.“

© Tsp

Leserdebatte: "1378 (km)": Wer schießt, verliert

Etwa 1000 Menschen haben ihr Leben an der innerdeutschen Grenze verloren. In dem Computerspiel "1378 (km)" kann man nun als Grenzsoldat auf Flüchtende schießen. Nach Aussage des Machers soll das Spiel aufklären. Doch kann es das? Diskutieren Sie mit!

Ein grauer nebliger Tag. Das Krächzen von Krähen erfüllt die Luft. Ein Mann kommt geduckt aus einem Wald und nähert sich einem hohen Zaun. Er hält für ein paar Momente inne, schaut sich noch einmal um und kriecht durch ein Loch, welches sich soeben vor ihm im Maschendraht aufgetan hat. Jetzt muss alles schnell gehen. Er spurtet los. Nur noch etwa 200 Meter, dann hat er es geschafft. An einem Busch macht er halt, duckt sich, schaut sich wieder um. Plötzlich pfeifen Schüsse durch die Luft. Zwei Männer in Uniform rennen auf ihn zu. Geschrei. Er läuft los. Noch haben sie ihn nicht erwischt. Vorbei an einem großen, kargen Wachturm, vorbei an den Panzersperren. Jetzt nur noch irgendwie durch diesen Zaun. Ein lauter Knall. Er sackt zusammen. Gescheitert an einer Selbstschussanlage im Todesstreifen der innerdeutschen Grenze 1976.

Die Szene stammt aus dem umstrittenen Computerspiel „1378 (km)“, freigegeben ab 18 Jahren. Darin kann der Spieler entweder in die Rolle eines Republikflüchtlings oder die eines Grenzsoldaten schlüpfen und aus deren Sicht das Spiel bestreiten. Die Aufgaben sind simpel. Der Flüchtling versucht unbewaffnet die Grenze zu überwinden, während der Grenzsoldat ihn mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln davon abhalten soll. Auf diese Weise können bis zu 16 Personen gleichzeitig über das Internet an einem Spiel teilnehmen und währenddessen miteinander kommunizieren. Da „1378“ im Genre der sogenannten „Ego-Shooter“ anzusiedeln ist, liegt die Vermutung nahe, dass der Soldat seine Aufgabe auch mit Waffengewalt erledigen wird.

Gerade deswegen stand das Spiel, das der 24-jährige Student Jens Stober an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe entwickelt hat, in der Kritik. Historiker, Opferverbände und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zeigten sich empört darüber, dass der Spieler per Mausklick Flüchtlinge töten kann. Am späten Freitagabend stellte Stober das Spiel nun überarbeitet auf seiner Homepage zum Download bereit. Eigentlich hatte er es schon zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls am 3. Oktober veröffentlichen wollen.

Um „1378 (km)“ überhaupt spielen zu können, muss der Nutzer jedoch die Internet-Vertriebsplattform „steam“ installieren und sich dort registrieren. Ganz kostenfrei ist es dann auch nicht mehr. Denn „1378 (km)“ basiert auf dem Egoshooter „Halflife 2: Deathmatch“, ohne den es gar nicht funktioniert – und der kostet den Nutzer 4,99 Euro. Trotzdem war die Seite des Spiels am Samstag wegen des hohen Ansturms oft überlastet.

Eine Anleitung war auf der Seite nicht zu finden, weswegen viele Protagonisten während des Spiels etwas ziellos umherliefen. Meist suchten Grenzer und Flüchtling das Loch im Zaun, welches sich zufällig irgendwo öffnete und schnell wieder schloss. Nicht selten blieben Flüchtlinge wegen technischer Probleme einfach so im Zaun hängen.

Und immer wieder waren Schüsse zu hören. „Jetzt hört doch mal auf zu schießen“, beschwerte sich ein User. „Ihr könnt uns auch einfach verhaften.“ Und das unterscheidet „1378 (km)“ vom üblichen Ego–Shooter. Die Grenzsoldaten haben die Möglichkeit, die Flüchtenden auch ohne Waffengewalt festzunehmen. Schießen und treffen sie zu oft, machen sie plötzlich einen Zeitsprung und finden sich auf der Anklagebank eines Mauerschützenprozesses wieder. Die Flüchtlinge sollen dagegen die Grenzsoldaten bestechen können, um nicht verhaftet zu werden.

Einige beschwerten sich während des gemeinsamen Spiels, dass das Game doch langweilig sei. Interessant findet es dagegen die Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Ein Sprecher bestätigte, dass bei dem Computerspiel der Anfangsverdacht eines Verstoßes gegen den Straftatbestand der Gewaltverherrlichung nach Paragraf 131 des Strafgesetzbuches bestehe. Dabei will Jens Stober nach eigener Aussage mit „1378 (km)“ Jugendliche über die Geschichte an der innerdeutschen Grenze aufklären. Er rechtfertigt seine Idee damit, dass man das Spiel mit dem Erschießen von Flüchtlingen nicht gewinnen könne.

Fraglich ist, ob ein Ego-Shooter den richtigen Rahmen bietet, um Stobers Ansprüchen gerecht zu werden. Denn diese Art Spiel wird in der Regel gerne gespielt, eben weil geschossen wird.

Was denken Sie über dieses Spiel? Ist es die geeignete Plattform, um über die Geschichte an der innerdeutschen Grenze aufzuklären? Oder ist es, wie die Staatsanwaltschaft gerade prüft, doch eher gewaltverherrlichend und geschmacklos? Nutzen Sie die Kommentarfunktion und diskutieren Sie mit!

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