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3sat-Moderator Gert Scobel.

© ZDF und Jana Kay

Medien in der Corona-Krise: Gert Scobel warnt vor Moderatoren als „Ersatzpolitiker“

Milliarden von Menschen erfahren laut Gert Scobel derzeit „sehr hautnah emotional“, wie komplex die Alltagswelt ist. Daraus zieht er kritische Schlüsse.

Der Journalist und Philosoph Gert Scobel sieht die Gefahr, dass Moderatorinnen und Moderatoren in der Corona-Krise „als Ersatzpolitiker agieren wollen“. Journalisten könnten die Komplexität der Welt nicht allein lösen und auch virologische Debatten kommunikativ nicht allein so aufbereiten, „dass die Politik nur noch dem zu folgen braucht, was in Talkshows verhandelt wird“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Das grundlegend Neue an der Corona-Krise sei, dass Milliarden von Menschen derzeit „sehr hautnah emotional“ erfahren, wie komplex die Alltagswelt ist, sagte der Moderator der Sendung „Scobel“: „Sie haben direkt erfahren, wie eng zum Beispiel Gesundheit mit Wirtschaft verknüpft ist.“

Journalisten seien nicht die Einzigen, die die Komplexität der Geschehnisse für ihre Berichterstattung einordnen müssten, sagte der Journalist. Auch Virologen versuchten auf ihre Art, die Komplexität von Daten und Befunden zu reduzieren. Aufgabe von Journalisten sei es, „möglichst viele dieser Teilantworten und Perspektiven erstens sachgemäß und zweitens verständlich möglichst objektiv zu kommunizieren“. Dazu gehöre auch zu sagen, dass sie bestimmte Dinge nicht wissen, weil sie sie gar nicht wissen könnten.

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Insgesamt spiegele der Journalismus seiner Beobachtung nach derzeit viele unterschiedliche Perspektiven wider, sagte Scobel. Die wichtigste Aufgabe sei es, „neue Wege zu finden, gemeinsam mit unterschiedlichen Perspektiven und Komplexität umzugehen“. Journalistinnen und Journalisten müssten auch weiterhin kritisch nachfragen, um „klug und freundlich auszuloten, was das klügste, im Idealfall sogar weise Verhalten ist“. Die Medien könnten nach Ansicht von Scobel aus der Corona-Krise lernen, dass sie „eine größere Verantwortung haben als gedacht“. Ein Teil des Fernsehens könne lernen, „dass unsere erste Aufgabe nicht die Bespaßung der Republik ist, sondern dass wir gemeinsam versuchen müssen, neue Öffentlichkeiten herzustellen, um damit Freiheit und Gemeinwohl zu fördern“, sagte er.

Jetzt sei eine gute Zeit, Dinge zu verändern: „Lieber mal einen Gast weniger in eine Talkshow einladen und dafür ein intensiveres Gespräch führen. Ein Gespräch, das auch nicht nur dem einen die Kritik des anderen um die Ohren haut, sondern lösungsorientiert ist.“

Scobel, 60, studierte Philosophie und Theologie in Frankfurt am Main und im kalifornischen Berkeley. Seit April 2008 leitet und moderiert er die Sendung „Scobel“ bei 3sat. Seit Mai 2016 ist er Professor für Philosophie und Interdisziplinarität an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. (epd)

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