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Mehmet Scholl

© dpa

Mehmet Scholl: Der schweigende Clown

Mehmet Scholl wird zum EM-Fernseh-Experte - eine Medienfigur, die eigentlich gar keine sein will. An der Seite von Reinhold Beckmann wagt er jetzt den Einstieg ins TV-Geschäft.

Als der Fußballer Mehmet Scholl im August 2007 in München nach seinem Rücktritt eine große Abschiedsparty vom FC Bayern gab, ließ er die queere Kultband The Hidden Cameras aus Kanada einfliegen und feierte eine wilde Party. Fußball und schwul? Das passt nicht so gut zusammen. Mehmet Scholl und bräsige Fernsehmoderation? Das geht eigentlich auch nicht. Das war der erste Gedanke, als jetzt im Frühjahr die ARD-Personalien zur Fußball-Europameisterschaft gehandelt worden, und Mehmet Scholl plötzlich TV-Experte an der Seite von Reinhold Beckmann werden sollte.

Zunächst einmal, Mehmet Scholl ist nicht auf den Mund gefallen. Dass der Mann nicht nur gut Dribbeln kann, sondern auch bei der Wortwahl große Qualitäten besitzt, ist bekannt. Bestenfalls eine Art Oliver Pocher unter den Fußballprofis. Und dennoch, an den Anblick des Sidekicks neben Beckmann, der nicht gleich losdribbelt, sondern räsonierend auf Abruf spricht, wird man sich gewöhnen müssen. Was den moderaten Ton betrifft, hat sich ja Mehmet Scholl selbst eher für ungeschickt gehalten. Vor Jahren sorgte sein Spruch ,"Hängt die Grünen, so lange es noch Bäume gibt‘‘ für mächtig Wirbel. Sicher, so etwas würde das einstige Teenager-Idol heute nicht mehr sagen, schon gar nicht vor laufenden Kameras. Dort gesellt sich Scholl nun zu Oliver Kahn, der nach der EM beim ZDF als Experte anfängt. Und damit zu der Schar all der notorischen Besserwisser, den Klopps, Matthäus’, Neururers und Latteks der Medienrepublik, von denen Scholl sich immer ein bisschen unterschied. Oder besser: unterscheiden wollte. Auch mit dem Prinzip Verweigerung, das der Ausnahmefußballer in Bezug auf die Medien jüngst immer häufiger und ohne Rücksicht auf Verluste anwandte. Und das bei jemandem, dessen Leben sich fast 20 Jahre lang öffentlich abgespielt hat. Scholl war Bravo-Boy. Seine Scheidung schlug beim Boulevard genauso Wellen wie der Spruch mit den Grünen an den Bäumen.

Eine seltsame Medienfigur. Eines der wenigen Interviews der vergangenen Jahre gab Scholl im Mai 2007 der "Süddeutschen Zeitung“. Auf die Frage, inwiefern sich seine Beliebtheit mit der Öffentlichkeitsverweigerung vereinbare, sagte Scholl, er wolle sich dann äußern, wenn er etwas zu sagen habe. "Ich wollte das Gefühl haben, dass mir jemand zuhört. Viele Leute geben Interviews nicht, weil sie was zu sagen haben, sondern weil sie wo erscheinen möchten. Sie beziehen ihren Marktwert daher und werden mit Werbeverträgen belohnt.“ Ihm ginge es um den Erhalt einer gewissen Lebensqualität – und darum, „den Leuten nicht auf die Nerven zu gehen“. Es gebe nichts Schlimmeres als nervende B-Promis.

Scholl sagte nichts mehr zu den Grünen. Scholl sagte nichts mehr zur Bravo. Scholl sagte eigentlich gar nichts mehr, seitdem er im August noch das große Abschiedsspiel samt Party gegen den FC Barcelona bekam, live in der ARD. Nach draußen sickerte durch, dass der dreifache Vater im Frühjahr eine Trainerausbildung begonnen hatte. Und nun, zur großen EM-Sause, soll der große Schweiger wieder sprechen, allerdings nur im Fernsehen, nur zum 18-Uhr-Spiel, nur an der Seite von Beckmann. Es habe, heißt es in der ARD, Dutzende von Interview-Anfragen zum neuen TV-Experten gegeben. Keine Chance. Wiederum seltsam: Dem „clownesken Revoluzzer“ (SZ) Mehmet Scholl, der von Bayern-Hassern gemocht wird, wird das kaum übel genommen.

Nur ein kleines Sommermärchen?

Sein Job im Ersten ist vielleicht nur ein kleines Sommermärchen – vor einer Existenz als Trainer. Vielleicht aber auch der größte Glücksgriff der ARD seit Günter Netzer. Und neben Final-Reporter Tom Bartels ein Beweis dafür, dass das Erste gewillt ist, frische, originelle Kräfte ans Sportmikro zu bringen und damit nicht nur Oliver Pocher meint. Es ist nicht so lange her, da musste man dort noch Heribert Fassbender ertragen und Kommentare wie: „Es steht 1:1. Genauso gut könnte es umgekehrt stehen.“ So was darf höchstens Mehmet Scholl sagen. Den Talente-Kauf eingefädelt hat offenbar Reinhold Beckmann. "Er und Mehmet Scholl hatten schon immer privat ein gutes Verhältnis“, sagt ein ARD-Sprecher. „Dies war in dieser Frage sehr hilfreich.“ Bei einem Abendessen wurden die Grundsteine für eine Zusammenarbeit gelegt. Scholl soll gleich „Feuer und Flamme“ für die Idee gewesen sein. Nach einem weiteren Gespräch mit Programmdirektor Struve und ARD-Verantwortlichen sei man sich einig geworden.

Fragt sich nur: worauf? Scholl ist 37. Günter Netzer 63. Und Netzer galt früher auch mal als Revoluzzer. Seit 1998 analysieren Netzer und Gerhard Delling für die ARD die Partien der deutschen Nationalelf. Beide haben Vertrag bis zur WM 2010. „Mit Scholl ist vereinbart“, so der ARD-Sprecher, „dass sowohl er als auch wir schauen, wie das Ganze funktioniert.“ Scholl müsse erstmal sehen, ob ihm die Arbeit beim Fernsehen überhaupt Spaß macht.

Da ist es wieder, dieses Gefühl: Mehmet Scholl ist nicht zu fassen. Clown, Sprücheklopfer, Schweiger, Total-Verweigerer, jetzt doch wieder Arbeit mit dem Fernsehen – Medienfuzzi. Im besagten Interview sagte Scholl den Journalisten, das man sich um ihn nach 18 Jahren Profi-Fußball keine Sorgen mache müsse. „Ihr dürft eine böse Kolumne über mich schreiben, wenn ich jemals Kolumnen schreiben sollte. Dann dürft ihr schreiben: Braucht er Geld?“

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