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Ringen um Worte. Es dürfte Thomas Gottschalk schwerfallen, beim großen ZDF-Jahresrückblick am Sonntag mit demselben Lächeln auf die Bühne zu kommen wie 2009. Foto: dpa

© dpa

Mut oder Übermut?: Moderator 2010

Thomas Gottschalk wird trotz Bedenken den ZDF-Jahresrückblick "Menschen 2010" und „Ein Herz für Kinder“ moderieren. Warum Moderator und Sender keine Pause einlegen

Tut er’s, tut er’s nicht? Er tut’s. Nur eine Woche nach dem schweren Unfall bei „Wetten, dass...?“ wird Thomas Gottschalk den ZDF-Jahresrückblick „Menschen 2010“ moderieren, der am Freitag in München aufgezeichnet und am Sonntagabend ausgestrahlt werden soll. Das teilte das ZDF am Mittwoch mit. Darüber hätten sich der Moderator, Programmdirektor Thomas Bellut und Showchef Manfred Teubner verständigt. Gottschalk, der laut „Bild“-Zeitung erwogen hatte, die Show abzusagen, werde selbstverständlich laufend über den Gesundheitszustand des verunglückten „Wetten, dass…?“-Kandidaten informiert. Der 23 Jahre alte Samuel Koch hatte sich am vergangenen Samstag in der Show bei einem Stunt so schwere Verletzungen an der Wirbelsäule zugezogen, dass ihm nun schwere Lähmungen drohen.

In der Primetime-Sendung „Menschen 2010“ sind unter anderem Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Alice Schwarzer zu Gast, die ihre Sicht des Kachelmann-Prozesses darlegen will. Formel-1-Rekordweltmeister Michael Schumacher soll über sein Comeback berichten.

Noch am Dienstag sah es eher nicht danach aus, dass Gottschalk diesen Job übernehmen würde. „Ich entscheide am Donnerstag, ob ich den Jahresrückblick moderiere“, hatte Gottschalk der „Bild“-Zeitung gesagt. „Im Moment geht es allein um die Genesung von Samuel. Davon mache ich meine Entscheidung abhängig.“ Das war nachvollziehbar, für viele erschien es unvorstellbar, dass der Moderator nur acht Tage nach dem Unglück bei „Wetten, dass...?“ in völliger Unkenntnis hinsichtlich der weiteren Konsequenzen für seinen Kandidaten bei einer großen ZDF-Primetime-Show gute Laune bei Fußball-WM-Helden oder geretteten Bergkumpeln versprühen soll.

Die große Frage ist: Sieht der Zuschauer nicht ständig Samuel Koch, dessen tragischen Unfall und ungewisses Schicksal, wenn Thomas Gottschalk wieder auf den Bildschirm kommt? Welche Worte, welche Bilder wird der Moderator finden, um diese Stimmung, diese Trauer aufzufangen?

Dann war beim ZDF offenbar doch eine schnelle Entscheidung gefragt, zudem am Mittwoch bekannt wurde, dass erst in der kommenden Woche weitere verlässliche Aussagen über den weiteren Gesundheitszustand von Samuel Koch gemacht werden könnten. Außerdem wäre nach einem weiteren Zögern oder gar einer Absage des großen Moderators mit Boulevard-Schlagzeilen zu rechnen gewesen à la: Wird Thomas Gottschalk jemals wieder „Wetten, dass…?“ moderieren?

„Wetten, dass..?“-Erfinder Frank Elstner riet seinem Nachfolger Gottschalk davon ab, die beliebte Wettshow hinzuwerfen. „Das ist wirklich nicht der Zeitpunkt, eine solche Entscheidung zu treffen“, sagte Elstner der Zeitschrift „Bunte“. Gottschalk sei nach dem Unfall „erstklassig“ mit der Situation umgegangen und habe die richtigen Worte gefunden. „So schrecklich und furchtbar dieser Unfall für den Wettkandidaten, seine Familie und alle Beteiligten auch ist, so etwas kann überall passieren“, sagte Elstner. Die Sendung müsse es weiter geben. „Wenn beim Fußball einer schwerstverletzt umfällt, wird auch weiter Fußball gespielt.“ Dennoch müsse lückenlos aufgeklärt werden, wie es zu dem Unfall kommen konnte und ob die Wette zu gefährlich war, betonte der Moderator.

Vielleicht gab es für das ZDF jetzt auch gar keine personellen Alternativen. Wer sollte so einen Showtanker wie den großen Jahresrückblick im Zweiten auch moderieren, außer Gottschalk? Kerner ist weg, und Jörg Pilawa stellt sich ungern in Formate, die nicht quiz-maßgeschneidert sind. Strahlemann Markus Lanz wäre sicher ein Kandidat gewesen, aber der ist seit Mittwoch für eine ZDF-Produktion in Richtung Südpol unterwegs.

Mitarbeiter des Senders rechnen damit, dass Gottschalk am Sonntagabend mit den richtigen Worten auf das Schicksal von Samuel Koch eingehen werde. Ob dieses Thema auch einen größeren, redaktionellen Schwerpunkt mit Gästen oder Berichten bilden werde, stand zum gestrigen Zeitpunkt noch nicht fest, ist aber eher unwahrscheinlich.

Beim ZDF in Mainz geht man davon aus, dass Thomas Gottschalk auch „Ein Herz für Kinder“ moderieren wird. Die Spendenshow, die in einer Partnerschaft des ZDF mit der „Bild“-Zeitung entsteht, ist für Samstag, 18. Dezember, um 20 Uhr 15 angesetzt. Anders als der Jahresrückblick ist „Ein Herz für Kinder“ eine Live-Veranstaltung, anders als das mehr journalistisch angelegte Jahres-Resümee ist die Benefiz-Sendung eine Bühnenshow, ein Unterhaltungsevent. Thomas Gottschalk ist herausgefordert, als quirliger, lustiger, ja fröhlicher Entertainer die Herzen und die Portemonnaies der Zuschauer und Spender zu öffnen. Es gehört zur Logik dieser Spendenshow, dass zudem das Rekordergebnis 2009 von knapp 13,5 Millionen Euro getoppt wird.

Eine schwierige Aufgabe, nichtsdestoweniger scheint die Programmspitze des Zweiten gewillt, Gottschalk nicht in die Kulisse zu ziehen, sondern auf der Bühne zu lassen. Ein Rückzug, und sei er nur zeitweise, könnte, so wird in Mainz befürchtet, als Schuldeingeständnis missverstanden werden. Außerdem: Wie kann der Öffentlichkeit vermittelt werden, dass Gottschalk den Jahresrückblick moderiert, nicht aber „Ein Herz für Kinder“? Dann lieber das Risiko, bei „Menschen 2010“ und „Ein Herz für Kinder“ von schlechten Nachrichten aus dem Universitätsklinikum Düsseldorf überrascht zu werden, die dann von Moderator und Sender spontane und vor allem richtige Entscheidungen abverlangen.

Bleibt noch die Frage nach der Zukunft von „Wetten, dass...?“, der Flaggschiff-Sendung des Zweiten mit dem Top-Showmoderator des Zweiten. Es soll weitergehen, das steht fest, aber die Modalitäten für die Fortsetzung im Februar 2011 stehen längst nicht fest. Wetten ja, aber welche – und macht Thomas Gottschalk weiter? Die Mitarbeiter auf dem Mainzer Lerchenberg sind zwar froh, dass der Abbruch der „Wetten, dass...?“-Ausgabe und die Art und Weise des Umgangs mit dem Unglück während der Sendung auf breite Zustimmung gestoßen ist. Trotzdem, sagte ein ZDF-Mann, „sind wir alle wie paralysiert“. Die Fernsehanstalt tut alles für den schwer Verletzten, doch die Antwort über die zukünftige Samstagabend-Unterhaltung des ZDF liegt nicht allein in Mainz, sondern steht auch in der Krankenakte von Samuel Koch.

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