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Fernsehen

© Vario Images

Fernsehen: Nebenbei ist auch dabei

Essen, reden, telefonieren: Menschen machen, wenn der Fernseher läuft, noch Dutzende andere Dinge nebenher.

Wohl frisiert, gehüllt in feinen Zwirn, voll gespannter Erwartung vor dem Bildschirm versammelt – so zeigt das Foto in einem TV-Geräteprospekt von 1952 die deutsche Fernsehfamilie. Heute, mehr als 50 Jahre später, würde sie sich wohl anders gebärden; der Vater äße gerade eine Stulle, die Mütter läse und die Tochter würde auf ihr Handy einhacken.

Während der Medientheoretiker Marshall McLuhan – bekannt für seine These „The medium is the message“ – noch 1964 sagte, TV sei so fordernd, dass es niemals, wie das Radio, als Hintergrundbeschallung tauge, findet heute fast ein Drittel des Fernsehens nebenbei statt. Das ergab eine Untersuchung der Medienforscher Jens Wolling und Christoph Kuhlmann, veröffentlicht in der Zeitschrift „Medien & Kommunikationswissenschaft“. Ihr zufolge lassen Deutsche etwa 52 Minuten am Tag den Apparat laufen, während sie noch etwas anderes tun, am häufigsten essen, vor allem abends und am Wochenende auch nachmittags zu Kaffee und Kuchen. An zweiter Stelle steht die Erledigung von Hausarbeit, es folgen Unterhaltungen, Telefonate, Arbeit am PC und Lesen. Am ehesten sind Menschen noch zur Primetime, also zwischen 19 und 22 Uhr, dazu gewillt, sich ganz auf das Fernsehprogramm zu konzentrieren. Aber selbst hier macht ein Drittel der Zuschauer etwas nebenher, vornehmlich Dinge wie Wäsche zusammenlegen – all das, wozu Berufstätige tagsüber nicht gekommen sind. Während es zwischen den Geschlechtern und Personen unterschiedlichen Bildungsstandes kaum Unterschiede gibt, sind es vor allem junge Leute, die sich beim Fernsehen noch anderweitig betätigen.

Warum man bei laufender Glotze beispielsweise noch liest, ist zunächst nicht recht zu verstehen. Schließlich strebt der Mensch zum einen generell ein mittleres Erregungsniveau an, sollte also kein Interesse an solch einem Übermaß an Reizzufuhr haben. Zum anderen mehren sich gerade in letzter Zeit die Belege dafür, dass die Fähigkeit zum Multitasking nichts als ein Mythos ist. Allerdings, so betont der Medienpsychologe Peter Vorderer, ist Fernsehen selten gleichberechtigt zur zweiten Tätigkeit. Manchmal dient es als Bildkulisse ohne Ton, so etwa beim Telefonieren, häufiger noch ist es aber pures Hintergrundrauschen, also auditive Untermalung. Etwas haben, das gegen die Einsamkeit ein paar Stimmen setzt – das ist laut Christoph Kuhlmann das tiefere Motiv von TV-Nebenbeinutzern. Dazu passt, dass Singles doppelt so oft wie Paare mit dem Teller in der Hand vor dem Bildschirm sitzen.

Doch es gibt auch das gemeinschaftliche Fernsehereignis, das die Kommunikation befördert. Die einen schauen zusammen Fußball, die anderen „Lindenstraße“ oder „Friends“. Und handelt es sich bei den Personen vor dem Fernseher um Mitglieder einer Familie, unterhalten sie sich bei diesen Gelegenheiten mehr als in fernsehfreien Situation, wenn auch sehr verknappt: Oft findet nur noch Häppchenkommunikation statt, von „Was für ein sauberer Schuss!“ bis „Wie kann sie sich nur mit dem einlassen?“ Aber immerhin – bei Paaren, die ansonsten im Schnitt nur zehn Minuten miteinander reden, mag das schon den Löwenanteil an der täglichen Mitteilungsbereitschaft ausmachen.

Und dann wäre da noch die Sache mit der Wäsche. Womöglich würde sie zerknittert in der Ecke liegen, liefe im Hintergrund nicht die Glotze. Oft wird sie angeschaltet, um ansonsten stupide Betätigungen ein bisschen aufzuwerten. So sagte eine Frau, die die Kommunikationswissenschaftlerin Irene Neverla befragte, sie bügle überhaupt nur dann, wenn etwas Interessantes im Fernsehen komme.

Ob Glotze als Gesellschaft, Gemeinschaftsritual oder Bügelfernsehen - in allen Fällen bietet das Bildschirmgeschehen allein offenbar keinen ausreichenden Reiz, sonst würde einem sowohl Gespräch als auch Bügeleisen entgleiten. Und so sind es auch nur ganz bestimmte Formate, die nebenbei konsumiert werden, allen voran Musiksendungen und Boulevardsendungen, gefolgt von Soaps, Talk- und Gerichtsshows.

Vielleicht war aber auch nicht die Henne in Gestalt anspruchslosesten Programms, sondern das Ei zuerst da, in Form des konzentrationsunwilligen Fernsehkonsumenten, der nun einmal partout zwei Dinge zugleich machen will. Zumindest scheinen die TV-Zuschauer nicht überzeugt zu sein vom Anspruch des Mediums: In einer US-amerikanischen Untersuchung gab die Mehrheit der Befragten an, Tagträumen sei eine größere Herausforderung als Fernsehen und selbst zum Essen bräuchten sie größere Fertigkeiten als dafür, vor der Mattscheibe zu sitzen.

Gut möglich, dass all jenes den Leser dieser Zeilen kaum etwas angeht, denn noch eines ergab die Untersuchung von Wollinger/Kuhlmann: Unter den regelmäßigen Zeitungslesern finden sich unverhältnismäßig wenig Nebenbeiglotzer.

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