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Während der Nürnberger Prozesse: Die Brüder Budd (l.) und Stuart Schulberg (r.) sichten Bildmaterial.

© arte

Nürnberger Prozesse: Die Schulberg-Lektionen

Eine Arte-Dokumentation über zwei Brüder, die Bilder als Beweismittel gegen Nazi-Verbrecher sicherten.

Filme über die Nürnberger Prozesse gibt es viele. Kaum einer rückt jedoch die Bedeutung des filmischen Mediums so entschieden in den Fokus wie Jean-Christophe Klotz. Der französische Fernsehjournalist zeichnet die vergessene Geschichte der Brüder Budd und Stuart Schulberg nach.

Die beiden damals 23 und 31 Jahre alten US-Soldaten, Söhne des Paramount-Filmproduzenten B.P. Schulberg, wurden 1945 mit einer heiklen Mission nach Deutschland geschickt, wo sie eine Schlüsselrolle für die Nürnberger Prozesse spielten. Erstmals wurde über einen souveränen Staat, Deutschland, gerichtet. Erstmals wurden dafür bewegte Bilder bei der Beweisaufnahme genutzt. Dem möglichen Einwand der Nazi-Rechtsanwälte, ihre Mandanten würden aufgrund gefälschter Filmmaterialien abgeurteilt, sollte jede Grundlage entzogen werden.

Die Angeklagten sollten mit Filmen überführt werden, in denen Nazis ihre Gräueltaten selbst dokumentiert hatten. Solche Filme, von einer SS-Abteilung gedreht, waren unter Nazi-Größen populär. Hitler ließ sich Holocaust „zum Nachtisch“ servieren („Nürnberg und seine Lehre. Ein Film gegen das Vergessen“, Arte, Mittwoch, 22 Uhr 05).

Viele dieser Filme wurden vor dem Eintreffen der Alliierten vernichtet. Jene wenigen Dokumente, welche die Schulberg-Brüder retten konnten, bezeugen ein Ausmaß des Grauens, das zu diesem Zeitpunkt kaum jemandem bewusst war. Nicht einmal den angeklagten Nazis selbst. „Aha, Kino“, spottete Hermann Göring, als er im Gerichtssaal eine Leinwand sah. Doch dann folgte am 29. November 1945 die Premiere im Gerichtssaal.

Der einstündige Zusammenschnitt mit dem Titel „Nazi Concentration Camps“ brachte alle gängigen Vorstellungen von Humanismus und Zivilisation zu Fall. Niemand vermochte sich zuvor vorzustellen, wie Leichenberge mit Bulldozern in Gruben geschoben wurden.

2009 präsentierte sie auf der Berlinale eine restaurierte Fassung

Das Medium Film wurde zum Beweis für den Zivilisationsbruch der Nazis. Klotz erinnert an die seelische Pein der Schulberg-Brüder. Zwecks Aufbereitung des Materials – etwa den dreistündigen Film „The Nazi Plan“ – mussten sie am Schneidetisch unvorstellbare Gräueltaten ansehen.

Klotz zeichnet nach, wie Stuart Schulberg das Material später für den Dokumentarfilm „Nuremberg: It’s Lesson For Today“ über den Verlauf der Prozesse verwendete. Unglücklicherweise zog sich die Fertigstellung über Jahre dahin. Inzwischen dokumentierte der Film „Das Gericht der Völker“ die Prozesse aus Sicht der Sowjetpropaganda.

So kam es, dass Schulbergs Film in den USA nie gezeigt wurde. Er wurde der Politik geopfert, weil er mit den Intentionen des Marshallplans kollidierte. Man wollte der Öffentlichkeit nicht zeigen, dass jene Deutschen, denen man wirtschaftliche Unterstützung zukommen ließ, Millionen Juden ermordet und wie Vieh verscharrt hatten. Rückblickend erscheint die Zensur als Fehlentscheidung.

Zehn Jahre später, als Fritz Bauer die Frankfurter Auschwitzprozesse initiierte, war jenes Grauen, das Schulbergs Film für die Nachwelt festhielt, längst noch nicht im allgemeinen Bewusstsein verankert. Am Ende der Doku berichtet die Aktivistin Sandra Schulberg, wie sie die Filme ihres Vaters zufällig wieder entdeckte. 2009 präsentierte sie auf der Berlinale eine restaurierte Fassung, die auf vergleichsweise geringes Interesse stieß.

Jene Filmszenen, auf denen zu sehen ist, wie Bücher verbrannt werden und wie Göring erstmals die Rassengesetze artikuliert, sind inzwischen tagtäglich durch Bilderschleifen zahlreicher TV-Berichte gelaufen. Jean-Christophe Klotz’ Dokumentation macht ihre Geschichte transparent. Sein Film ist eine Hommage an jene beiden Männer, die mit dazu beitrugen, dass der Holocaust nicht vergessen wurde.

Manfred Riepe

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