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Medien: „Patriotismus heißt Beckenbauer“

Der Kabarettist Dieter Hildebrandt hat nichts gegen deutsche Fahnen – wenn sie wieder zur Fußball-EM herausgeholt werden

Herr Hildebrandt, wie geht es Ihnen, Sie Miesmacher?

Wenn Sie meinen, ich lasse mich in meinem Alter noch von der „Bild“-Zeitung beeindrucken, die glaubte, mich so nennen zu dürfen, dann irren Sie aber gewaltig.

Also ganz positiv: Wie haben Ihnen denn die Deutschen als Fahnen schwingendes Völkchen gefallen?

Das war doch, als wenn ein ganzes Volk Silvester feiert. Ich habe damit kein Problem. Ich habe mich nur gefragt, wo wohl die ganzen Fahnen abbleiben. Was machen die mit denen – und wann holen sie sie wieder raus? Genervt hat mich höchstens der Rummel mit den Hymnen. Haben Sie mal die Texte zu den Hymnen gelesen? Nein? Machen Sie das mal, dann wissen Sie, was ich meine.

Haben Sie da eine Idee?

Warum nicht eine Hymne für jeden Kontinent und dann jeweils nur eine Strophe Text? Wenn dann auch noch die Musik besser würde, ja dann wär’s doch vielleicht ganz schön.

Hat Sie das nicht wenigstens ein bisschen gestört, dieses deutsche Fahnenmeer?

Es hat mich jedenfalls nicht aus den Schuhen gehauen. Es war eine Mode, und Moden gehen vorbei. Sehr beruhigend. Elias Canetti hat auf die Frage, was eine Fahne sei, geantwortet, eine Fahne sei sichtbar gemachter Wind. Wenn das bei deutschen Fahnen anders wäre, dann würde mich etwas stören.

Die „Bild“-Zeitung hat vor Beginn der WM gefordert, ja zum deutschen Bier und zur deutschen Frau zu sagen. Fehlte nur das ja zum deutschen Wind.

Richtig, genau so ist es.

Sie gehören einer Generation an, die mit derartigen Symbolen immer gehadert hat. Ist das vorbei?

Ich habe voller Staunen dem Treiben zugesehen und mich dabei gefragt, was wohl 1970 passiert wäre. Damals wären die Fahnenträger wahrscheinlich nicht heil über die Straße gekommen. 2006 ist das alles wie eine große Party.

Sind wir wieder ganz normal geworden?

Bei der WM in Rom 1990 gewannen die Italiener ihr erstes Spiel, gegen die Österreicher, sehr mühsam mit 1:0. Ich fuhr damals vom Studio zu meinem Hotel und kam vor lauter jubelnden Italienern, die riesige Fahnen schwenkten, beinahe nicht durch. Ich hatte damals nicht das Gefühl, lauter Patrioten zu sehen, das waren einfach Fans, die ihre Mannschaft feierten. So ist das heute auch in Deutschland. Ich habe nichts dagegen, wenn die Deutschen ihre Mannschaft und, warum nicht, auch sich selbst ein bisschen feiern.

Bleiben wir auch nach dem heutigen Endspiel eine fröhliche Nation?

Ich glaube, dass wir noch eine Weile werden weinen müssen. Denn es wurde uns ja versprochen: Wir werden Weltmeister. Und das will erst noch verarbeitet werden. Man hätte uns darüber aufklären sollen, dass es auch ganz anders kommen kann. Aber immerhin gehören wir wieder zum Kreis der Favoriten bei kommenden Wettbewerben.

Dann gehen wir also einer blühenden Zukunft entgegen?

Jetzt heißt es: Europameister werden. Dann können auch die Fahnen wieder hervorgeholt werden.

Wir haben gute Laune, und das soll natürlich auch so bleiben. Kann uns da einer wie der Bundespräsident helfen, der landauf, landab verkündet, dass er stolz sei auf dieses Land?

Ja, der Herr Köhler! Aber wenn Angela Merkel sich jetzt wieder ganz der Politik widmet, dann kann es klappen. Ich habe mich die ganze WM über gefragt, woher diese Frau die Zeit nimmt, regelmäßig ins Stadion zu gehen. Wo sie doch so viel Politik zu erledigen hat.

Sind Sie stolz, ein Deutscher zu sein?

Warum sollte ich? Ich bin doch nicht dafür verantwortlich ein Deutscher zu sein. Ich bin stolz auf eine Äußerung von Franz Beckenbauer, der gesagt hat, jeder solle sich gelegentlich in einen Hubschrauber setzen so wie er, dann wüsste er, wie schön Deutschland ist. Da bin ich allerdings dagegen. Wenn ich ständig dieses Hubschrauberbrummen über mir hätte, weil alle nur noch Hubschrauber fliegen, dann würde ich, und nicht nur ich, wahnsinnig. Dass Deutschland schön ist, weiß ich selber, weil ich täglich durch Deutschland fahre. Ich bin stolz auf Deutschlands Bahnhöfe und auf Deutschlands Hotels. Aber die Bahnhöfe anderer Länder sind auch ganz schön.

Können wir uns darauf einigen: Patriotismus heißt Hubschrauberfliegen?

Ich würde sagen: Patriotismus heißt Beckenbauer.

Was ist Patriotismus eigentlich?

Patriotismus kommt von Patria, Vaterland. Dem Vaterland angehören und mitzuteilen, dass man stolz sei, dazuzugehören, das ist Patriotismus. Patriotismus bedeutet aber auch, gegen andere zu sein. Das schwingt noch immer mit, aber vielleicht ist das auch vorbei. Ich glaube nicht, dass wir noch irgendwo, außer dem Kongo, einmarschieren werden. Patriotismus kostet Geld, und wir haben ja keins.

Haben auch Sie sich während der WM neu kennen gelernt so wie wir Deutschen uns und Deutschland?

Nein, das war nicht nötig.

Sie sind genügsam und also stolz auf sich selbst.

Wie kommen Sie denn darauf? Ich selbst sein ist doch noch keine Leistung. Und höchstens auf eine eigene Leistung erlaube ich mir, stolz zu sein.

Wer wird Weltmeister, Herr Hildebrandt?

Frankreich. Weil sie einen wie Zidane haben. Was der macht, das ist einfach sensationell. Da könnte man fast zum Franzosen werden.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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