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Medien: Politik ohne Politiker

Die etablierten TV-Magazine verlieren das junge Publikum. Der WDR will es mit „echtzeit“ zurückgewinnen

Ekim, Mitte 20, fährt mit dem Skateboard in die Fabrikhalle. Ein cooler Auftritt, mit T-Shirt, Baseballkappe und einem Lächeln im Gesicht. Was der Chef wohl davon denkt? Kein Problem, Ekim ist selbst der Chef. Im Sommer 2004 war er arbeitslos und hatte kein Geld, 2005 erzielte die von ihm gegründete Verpackungsfirma in Essen mit zwölf fest angestellten Mitarbeitern fünf Millionen Euro Umsatz. In dieser Tellerwäscherkarriere aus Deutschland ist beinahe alles enthalten, was eine gute Geschichte ausmacht: das augenzwinkernd präsentierte Klischee vom „Dönertütenkönig“, das Integrationsvorbild eines erfolgreichen Jungunternehmers mit „Migrationshintergrund“ und sogar ein Schuss Patriotismus und Globalisierung: „Ich liebe NRW“, sagt Ekim. Schon deshalb sei Tschechien, wo die Löhne niedriger sind, als Produktionsstandort nicht in Frage gekommen.

Mit dem wöchentlichen Reportagemagazin „echtzeit“, das an diesem Montag um 22 Uhr erstmals ausgestrahlt wird, startet das WDR Fernsehen einen erneuten Versuch, mit politischen und gesellschaftlichen Themen ein jüngeres Publikum zu erreichen. Im Vergleich mit dem 2003 gescheiterten, hektischen Live-Experiment „Kanzlerbungalow“ wirkt „echtzeit“ mit seiner schlichten Magazin-Struktur beinahe spartanisch: Jede der vorerst acht geplanten Folgen enthält vier sechs- bis siebenminütige Reportagen über jeweils eine Person. Es gibt keinen Moderator im Studio, allerdings leitet der jeweilige Autor seinen Beitrag selbst ein.

Zum Auftakt stehen eine Frau, die bereits mit 26 Jahren unter dem Burnout-Syndrom leidet, ein Mann, der sich für Elterngeld und Kindererziehung statt Beruf entschieden hat, sowie ein junger Linker, der durch Erbschaft reich geworden ist, im Mittelpunkt – und der Beitrag über „Deutschlands Dönertütenkönig“ Ekim. Er war auch Teil des Sendepiloten, also der nicht ausgestrahlten Testsendung, gefiel der Redaktion aber so gut, dass sie im vergangenen Jahr bereits im WDR-Magazin „markt“ gezeigt wurde. Den Anspruch, das aktuelle Thema der Woche aufzugreifen, erhebt die Sendung trotz des Titels nicht. Von G-8-Gipfel oder Evangelischem Kirchentag wird also nicht die Rede sein. Auch sonst ist der Name „echtzeit“ leicht irreführend: Unter der Dachmarke „echt“ probiert eine WDR-Projektredaktion zurzeit verschiedene junge Formate für Zuschauer bis 30 Jahren aus. „echtzeit“ wendet sich dagegen an ein Publikum zwischen 25 und 45 Jahren und ist im Umfeld von „Monitor“ und der WDR-Chefredaktion entstanden.

Zuschauer unter 50 Jahren kommen dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen zunehmend abhanden: Das Publikum aller Politmagazine im Ersten hat zurzeit einen Altersdurchschnitt von 61, im Fall von „Monitor“ sogar 62 Jahre. Als Gegenentwurf dazu sieht Martin Hövel, Leiter des „ARD-Morgenmagazins“, die „echtzeit“ nicht: „Es ist ein ergänzendes Angebot. Wir haben nicht den Anspruch, ein Modell dafür zu liefern, wie man junge Menschen für Politik interessiert. Wir haben nur festgestellt, dass es nicht ganz leicht ist, die Politikerpolitik jüngeren Menschen nahezubringen.“ Hövel gehört zu dem vierköpfigen Team, das die „echtzeit“ neben ihren jeweiligen Aufgaben organisiert.

Auf Experten und Politiker-Stellungnahmen aus Berlin wird ganz verzichtet. Faktensammlungen oder auch die ausdauernde Recherche eines parlamentarischen Skandals sind nicht „echtzeit“-Sache. Allein der subjektive Zugang in den flott geschnittenen Porträtfilmen zählt. „Die Idee ist, dass man Zeit hat zu zeigen, wie sich gesellschaftliche und politische Themen im Leben der Protagonisten wiederfinden“, sagt Hövels Kollegin Eva Müller. Unerwünscht ist vor allem ein belehrender Tonfall. Müller: „Wir haben jüngere Zuschauer befragt und einige Wünsche und Anregungen erhalten. Zum Beispiel: Bitte kein erhobener Zeigefinger! Nicht vorher wissen, wie Zuschauer hinterher zu denken haben. Oder: Mehr Positivbeispiele – Fälle, an denen man sich orientieren kann.“ Zum Beispiel den von Ekim, dem jungen Dönertütenfabrikanten.

Martin Hövel betont, es gebe keine Quotenvorgabe, „aber wahrnehmbar im Programm müssen wir schon noch sein. Wir stellen das Ding jetzt mal ins Schaufenster und hoffen, dass jemand stehen bleibt“. Acht Folgen „echtzeit“ würden sicher nicht ausreichen, um ein jüngeres Publikum für das WDR Fernsehen zurückzugewinnen. „Wenn man etwas ausprobiert und dann ein Jahr lang nichts mehr anbietet, ist die Gefahr groß, dass beim nächsten Versuch wieder kein Schwein von den Jüngeren guckt. Aber wenn man es nachhaltig und mit längerem Atem betreibt, stellt sich auch irgendwann die Wirkung ein“, sagt Hövel.

„echtzeit“, WDR, 22 Uhr

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