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Reality-TV: Die anderen Fernsehstars

"Sparfuchs", "Frauentausch": Die Pladecks passen in viele Reality-TV-Formate.

Neulich war Andreas Pladeck als Schnäppchenjäger unterwegs. Er ging mit seiner Familie einkaufen, erst zu dem einen Discounter, wo das Brot nach 18 Uhr billiger ist, dann zu einem anderen Laden, wo die Preise für Fleisch am Abend noch günstiger sind. Später machten sie noch einen Ausflug nach Polen, um das Auto aufzutanken – ein Kamerateam immer dabei. Die Pladecks waren Protagonisten für einen Beitrag in „Exklusiv – die Reportage“ (RTL 2), in dem es um Schnäppchenjäger ging. Andreas Pladeck ist aber nicht nur „Sparfuchs“. Er hat auch schon seine Frau für ein paar Tage gegen eine andere eingetauscht, erzählte bei „We are Family“ auf Pro7 über seine kritische finanzielle Situation und als sich Natascha Kampusch aus ihrer Gefangenschaft befreite, schätzte er für RTL ihren Zustand ein. Pladeck ist flexibel, was seine Rollen angeht. Nicht als Schauspieler, sondern als ganz normaler Bürger: 48 Jahre, verheiratet, drei Kinder, Mietwohnung in Berlin-Spandau, arbeitssuchend und derzeit in einer Weiterbildungsmaßnahme – und der ideale Protagonist für Reality-Formate.

Das Genre boomt im deutschen Fernsehen: „Super Nanny“, „Frauentausch“, „Mitten im Leben“ – um die zwölf solcher Sendungen aus dem vermeintlich wahren Leben sind täglich im Fernsehen zu sehen, fast 60 Stunden die Woche. Für Sender und Castingfirmen wird es deshalb immer schwieriger, neue Gesichter zu finden. „Mir gehen langsam die Familien aus“, sagt Imke Arntjen, die in Berlin die Agentur 030 Casting betreibt und Sender und Produktionsfirmen mit Protagonisten versorgt. Knapp über 7000 Frauen und Männer hat sie in ihrer Datenbank, aber nur etwa 100 Familien sind darunter.

Längst nicht jede Familie ist für Reality-TV geeignet. Mindestens zwei Kinder sollten es sein, am besten zwischen drei und 15 Jahre, nicht zu reich, nicht zu arm, bitte nicht zahnlos, so beschreibt Arntjen das meistgesuchte Profil. Vor allem aber müssen die Familien bereit sein, Details aus ihrem Leben, die andere noch nicht einmal ihren Nachbarn verraten würden, vor einem Millionenpublikum auszubreiten. Weil zu einem solchen „TV-Striptease“ nur wenige Familien bereit sind, werden manche mehrfach eingesetzt. So wie die Pladecks.

Vor jedem Dreh müssen sie angeben, für wen sie bereits vor der Kamera gestanden haben – trotzdem werden sie von verschiedenen Sendern oft für dasselbe Thema besetzt. Die „Sparfüchse“ drehen sie jetzt für einen Konkurrenzsender, nur unter einem anderen Titel. „Das geht, weil die Zuschauer Gesichter schnell vergessen“, sagt Pladeck. Was sonst im Fernsehen als Karrierehindernis zählt, ist im Reality-TV zwingende Voraussetzung für den Erfolg: Durchschnittlichkeit.

Fast täglich bekommt Pladeck Anfragen für Sendungen. Er wird in der Datenbank von vier Castingagenturen geführt, viele Redakteure rufen ihn direkt an. Angefangen hat seine Fernsehkarriere 2002, als er in der Sat-1-Show „Stunde der Wahrheit“ mitmachte. Danach wollte ihn RTL2 für den „Frauentausch“ buchen. „Erst war mir das zu sehr unter der Gürtellinie“, sagt er. Dann ging es jedoch um ein „Spezial“, die Familien wurden in den Urlaub geschickt, an den Königssee zum Wandern und ins Fünf-Sterne-Hotel nach Mallorca. „So einen Urlaub hätten wir uns niemals leisten können. Deshalb haben wir doch mitgemacht“, sagt Pladeck.

Etwa 200 Euro bekommt er für einen Dreh, je nach Aufwand. Manchmal sind es auch nur Spritkosten oder ein voller Einkaufskorb, die herausspringen. Dass er am Ende aber womöglich draufzahlt, einen Preis, der nicht in Euros zu messen ist, glaubt Pladeck nicht. „Ich verkaufe mich ja nicht, sondern bin so wie immer. Nur eben vor der Kamera“, sagt er. Die Angebote wähle er allerdings vorsichtig aus. Gerade wird eine Chaos-Familie für ein neues Format eines Privatsenders gesucht. Die Pladecks könnten jetzt dreckiges Geschirr in der Spüle stapeln, schmutzige Wäsche herumliegen lassen und den Müll nicht mehr rausbringen. Eine Art „Super Nanny“ für Messies würde anrücken und ihnen beim Aufräumen helfen. Vier Drehtage, 1000 Euro. Trotzdem löscht Pladeck die Anfrage aus seinem E-Mail-Ordner. „Wir wollen den Leuten nichts vormachen“, sagt Pladeck. Seine Frau sei Hauswirtschaftlerin, da sei ein chaotisches Haus unglaubwürdig. „Außerdem wollen wir im Fernsehen kein schlechtes Bild abgeben, sondern nur positives Beispiel für andere Familien sein“, sagt Pladeck.

Dass aber nicht überall die ganze Wahrheit drinsteckt, wo Reality draufsteht, musste auch Pladeck feststellen. Als er jetzt im Fernsehen den Beitrag über sich als „Sparfüchse“ ansah, habe er plötzlich hören müssen, dass er mindestens einmal im Monat nach Polen zum Billigeinkauf fahre. Dabei sei er viel seltener dort – aber so ist eben der Deal: Die Familie stellt sich dar, welche Szenen später wie zusammengeschnitten gezeigt werden, darauf haben sie keinen Einfluss mehr. „Bisher sind wir aber immer zufrieden gewesen“, sagt Pladeck, der stolz ist, eine Art Fernsehstar zu sein. Einer, den kein Fremder auf der Straße erkennt.

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