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Medien: Schlacht um Deutschland

Eindringliche ARD-Dokumentarfilmreihe über die letzten Kriegsmonate

Der Mai liegt schon in der Luft, der 60. Jahrestag des Kriegsendes ist nah. Dann wird der Bundeskanzler nach Moskau reisen, und Bush wird auch ins einstige „Reich des Bösen“ kommen, und zum ersten Mal werden sie gemeinsam des Kriegsendes gedenken. ARD und ZDF bemühen sich schon längst, uns ein Realzeitgefühl für den Kriegsverlauf zu geben. Das letzte Jahr war das Stauffenberg- Jahr, und auch wer dachte: Ein bisschen spät, dieses Attentat!, wusste doch bald, dass der 20. Juli nur der letzte Versuch einer ganzen Reihe von Attentatsplänen war, nicht nur des Militärs. Und selbst Stauffenberg ist ein Name unter vielen. Aber noch etwas sollte man nie vergessen: dass dieser Krieg nach dem 20. Juli 1944 noch mehr Opfer forderte als in all den Kriegsjahren zuvor.

Im Januar begann das ZDF seine vierteilige Dokumentation „Der Sturm“, denn genau im Januar vor 60 Jahren kam der Krieg zurück in das Land, von dem er ausgegangen war. Die Rote Armee stand an den Grenzen des Deutschen Reiches. Heute Abend zeigt der RBB die erste Folge seiner dreiteiligen Dokumentation „1945 – Schlachtfeld Deutschland“ und fängt noch einmal dort an, wo Knopp zu Jahresbeginn schon war. Die Machart ist gleich. Berichte von Zeitzeugen im Gegenschnitt mit historischen Aufnahmen. Der RBB macht den Mini-Knopp. Haben wir schon alles gesehen? Ja, und trotzdem ist es unmöglich, das zu denken. Denn die Geschichten der Menschen, die hineingerissen wurden in diese „letzte Schlacht“, sind einander ähnlich und doch unverwechselbar. Die Bergung solcher Geschichten, die man heute anders hört als vor Jahrzehnten, war wohl das tiefste Motiv auch für den RBB, eine solche Reihe zu machen. Und weil der Sender einer Stadt, die einst Hitlers Machtzentrale war und aus der das Kriegsende bald zwei Städte in einer machte, das Erinnern nicht nur den anderen überlassen kann.

Noch im Januar 1945 gab es das deutsche Ostpreußen, und Königsberg stand da wie noch Immanuel Kant es sah, der diese Stadt nie verlassen hatte. Kant ist ewig, wie sollte Königsberg es nicht sein? Die Rote Armee hatte eine zwanzigfache Überlegenheit an den Grenzen des Deutschen Reichs gesammelt. Hitler kannte die Zahlen und nannte sie „den größten Bluff seit Dschingis Khan.“ Es ist etwas anderes, das aus den Geschichtsbüchern zu wissen oder es von Margarete Wentkowski zu hören, einem Mädchen aus Fraunburg, damals neun Jahre alt. Da klingt die Ewigkeitsgläubigkeit so: „Ihr liegt hier noch im Bett, und in Kreuzdorf sind die Russen!“ Mit dieser Nachricht stand ein Nachbar am letzten Morgen ihrer Kindheit im Schlafzimmer der Eltern. Dann flüchteten auch sie, nicht aus der Stadt, sondern zuerst in den Keller des Fraunburger Doms. Klemke und Ast haben auch einen russischen Soldaten gefunden, der damals durch Fraunburg kam und die Marschlosung seiner Politoffiziere befolgte: „Zähle nicht die Kilometer, zähle nur die getöteten Deutschen.“ So ging es gut vorwärts. Und doch hörten viele Rotarmisten, als sie in Ostpreußen ankamen, für Augenblicke auf zu zählen, weil sie Dinge sahen, die sie für unmöglich hielten: einen elektrischen Herd zum Beispiel und andere Zeugnisse eines unvorstellbaren Wohlstands. Dann zählten die Rotarmisten weiter und ein vormaliger Wehrmachtssoldat in Ostpreußen betrachtet den Krieg nach 60 Jahren kinetisch: Einen Koloss, der so in Fahrt ist, hält man nicht auf. Die Militär-Sprache nennt diese Fortbewegungsart „überrennen“, aber ein früherer Rotarmist kann bis heute die Pausen nicht vergessen, die er und andere beim „Überrennen“ machen mussten. Weil sich in die Antriebsräder ihrer Fahrzeuge alles hineingefressen hatte, was auf der Straße lag: vor allem Leichen und Dreck. Und sie mussten es wieder herausholen. Das neunjährige Mädchen ist inzwischen Teil eines anderen riesigen Kolosses, der sich nur schwer vorwärtsbewegt. Oder gar nicht mehr. Nie vergisst sie die Augen der Pferde, deren Fuhrwerk im Ostseeeis eingebrochen war und die vergeblich versuchten, es herauszuziehen. Das war die Massenflucht in ostpreußischer Januarkälte über das Frische Haff Richtung Danzig. Und das Mädchen hat nicht gefroren, und es hatte auch keinen Hunger... Die Blicke von Siegern und Besiegten, von Opfern und Tätern überkreuzen sich. Und wer ist dieser 17-jährige Junge aus Mecklenburg, eingezogen zur Waffen-SS? Ist er Opfer oder Täter?

Das Lager Auschwitz wird inzwischen evakuiert. Und wer die Häftlinge marschieren sieht, ahnt plötzlich, dass alles zu Ende ist und weiß nicht, worüber er mehr erschrecken soll: über diese Gewissheit oder den Anblick. Während die Marschierenden wieder an einen Anfang glauben, wenn sie diesen Marsch überstehen sollten... Der Film von Klemke und Ast scheint sich wie von selbst zusammenzusetzen. Nicht zuletzt daran erkennt man gelungene Dokumentationen.

„Schlachtfeld Deutschland“: heute 21 Uhr 45, ARD; 2. Teil „Vorstoß zur Elbe“ am 6. 4. und 3. Teil „Das Ende“ am 11. 4. jeweils um 21 Uhr 45 im RBB

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