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Talkshow-Offensive: Grupes Schweigen

Deutschland ist im Talk-Rausch. Fünf Rede-Runden an fünf Tagen hintereinander schickt die ARD 2011 ins Rennen. Dabei war kein Fernsehgespräch so gut wie das im Jahr 1969, als Sprachlosigkeit herrschte.

Es ist ein fragiles Kompliment, wenn es überhaupt als Kompliment gemeint war. John Kornblum sagte in der Talkshow „Anne Will“: „Die Deutschen sind sehr gesprächig.“ Man könne wirklich alles erfahren, er habe endlos Geheimnisse gehört. Wenn der frühere US-Botschafter recht hat, dann hat auch die ARD recht. Das Erste Deutsche Fernsehen wird sich spätestens im Herbst 2011 zur größten Geheimnisenthüllungsrunde in Deutschland machen, wenn nämlich fünf Talkshows in fünf Tagen auf den Zuschauer niedergehen (ist das eigentlich Weltrekord?).

Reden ist Gold, wer schweigt, der lügt, verbirgt, betrügt, das ist die neue Devise in Deutschland, dem Talkland. Es ist eine vermessene Annahme, dass das öffentliche, das öffentlich gemachte Gespräch Probleme in Lösungen verwandelt. Das hat Heiner Geißler in seinen live übertragenen Schlichtungsrunden für Stuttgart 21 nicht geschafft, die Kriminalitätsquoten werden nicht sinken, wenn, wie es der Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle vorgeschlagen hat, Kameras in die Gerichtssäle gestellt werden. Vielleicht ist es die Sehnsucht, überall teilzunehmen, an allem teilzuhaben, was aus Deutschland eine einzig große Talkshow macht.

Vielleicht hilft es dem demokratischen Gemeinwesen, wenn neben dem Parlament mit seinen komplexen Gesetzesvorhaben Ersatzparlamente arbeiten. Vielleicht vermittelt die Talkshow ein Gefühl von Partizipation, vielleicht gaukelt Frank Plasberg bei „Hart aber fair“ doch niemandem etwas vor, wenn er seine Runde stets mit dem Spruch „Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft“ ankündigt. Im Kern ist das grottenfalsch, sein Fernsehtalk ist eine TV-Wirklichkeit – trotzdem kann die Wirkung beim Publikum den Slogan testieren.

Der größte Moment ever in einem Fernsehgespräch war, als der Boxer Norbert Grupe am 21. Juni 1969 im „Sport-Studio“ des ZDF auf die immer drängenderen Fragen von Moderator Rainer Günzler einfach nicht antwortete. Es gab nie wieder ein solch beredtes Schweigen wie jenes Berliners mit dem Kampfnamen „Prinz von Homburg“. Das war eindringlich, bannend, es war eine Heldentat vor laufenden Kameras. Und es muss, gewollt oder nicht, die Geburtsstunde der Talkshow gewesen sein, sprich einer Runde, in der mindestens so viele sitzen, dass ein Schweiger nicht auffällt. Der Verlierer ist er sowieso im Land der sehr Gesprächigen.

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