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Medien: Tsunami Video Blog

Das Internet mit seinen Katastrophenbildern macht dem Fernsehen Konkurrenz

Die Welle, die am Strand von Patong hochschlägt, an das kleine einstöckige Gebäude brandet und dann die Straße überflutet, glaubt man genügend oft auf allen Sendern – in immer wieder der gleichen Schleife abgespielt – gesehen zu haben. Doch das stimmt so gar nicht, denn die weiteren Minuten des Digitalfilms haben die Sender weggeschnitten, dann, als das Wasser sich seinen Weg durch die weiter im Landesinneren befindlichen Straßen bahnt, mehrere hundert Meter vordringt, teils verdeckt durch Gebäude und doch als reißende Flut zu erkennen, wo es doch im Fernseher so aussah, als sei nur die Straße hinter dem Strand betroffen. Diese ungeschnittenen Bilder sind allerdings nur im Internet zu sehen, auf Webseiten wie thelastminute.typepad.com, www.boingboing.net oder waveofdestruction.org – bei den so genannten Video-Bloggern, deren Seiten derzeit einen kaum vorstellbaren Nutzeransturm erleben.

So wie 2004 das Jahr der Text-Blogger, unter anderem im US-Präsidentschaftswahlkampf, war, so könnte das neue Jahr nun zum Durchbruch für die Video-Blogger – kurz Vlogger genannt – werden, schreibt beispielsweise das „Wall Street Journal“ in seiner internationalen Ausgabe vom Montag. Die nötige Technik dafür kostet schließlich kaum mehr als ein paar hundert Euro für einen digitalen Camcorder zum ohnehin in der Blogger-Szene schon vorhandenen PC. Die nötigen Programme gibt es im Internet umsonst.

Vor allem die Geschichte eines Tsunami-Videos, das von Vlogger Jordan Golson auf seine Seite jlgolson.blogspot.com gestellt wurde, könnte nicht zuletzt für eine neue Art von Fernsehjournalismus stehen. Es geht um das Video des Schweden Tommy Lorentzen, das ein älteres Paar zeigt, das lange gegen die Flut am Kamala Beach Hotel in Phuket ankämpft, sich an einem Geländer festhält, bevor es vom Wasser fortgezogen wird. Das Video gelangt später zu einem Stockholmer Polizisten, der eine CD-Kopie des Bandes an einen Journalisten des norwegischen „Dagbladet“ weitergibt, der es wiederum auf die Webseite seiner Zeitung stellt – und damit die Medienmaschine erst richtig in Gang setzt. Nachdem einige Vlogger auf den Film aufmerksam wurden und das Video auf diversen Webseiten zum Abruf bereitstand, meldeten sich Nachrichtensender aus allen Teilen der Welt und erwarben Senderechte für mehr als 20 000 US-Dollar, wie das „Wall Street Journal“ berichtete. In der neuen Konkurrenz zwischen Fernsehen und Internet hatten die Vlogger diesmal gewonnen.

Wenn auch mit Hilfe des Blogger-Veteranen Matt Drudge, der schon bei der Veröffentlichung der Clinton-Lewinsky-Affäre eine gewichtige Rolle spielte. Denn erst nachdem der „Drudge-Report“ den Link zum Golson-Video gebracht hatte, gingen die Abrufzahlen in gigantische Höhen. Über 640 000 Internet-Nutzer sahen das Video allein bei Golson.

Oftmals gehen die Bilder jedoch den umgekehrten Weg. Bei vielen der Videos handelt es sich um Bilder von TV-Sendern aus aller Welt, die per Computer mitgeschnitten, bearbeitet und mitunter um Kommentare angereichert auf den Webseiten der Vlogger landen. Viele Fernsehsender sind darum auch dazu übergegangen, dem Video neben dem Senderlogo auch noch ein digitales Wasserzeichen mitzugeben, um in späteren rechtlichen Auseinandersetzungen die Urheberrechtsfrage klären zu können.

Für viele Vlogger wie Golson oder seinen australischen Kollegen Geoffrey Huntley von Waveofdestruction.org ist es allerdings nicht allein die Konkurrenz zu den etablierten Mediengiganten, die sie am meisten fasziniert. „Bei einem Medienunternehmen müssen sie zahlreiche Stationen wie Rechtsabteilung oder Redaktion durchlaufen, bevor sie ein Video senden können. Beim Blogging fällt das weg“, sagte Huntley dem „WSJ“. Auch aus Sicht der Nutzer gibt es gute Gründe, sich ins Netz zu begeben und mit Vokabeln wie „Tsunami Video Blog“ bei Google auf die Suche zu gehen. Die gewichtigsten dabei sind, dass man im Netz eher die Chance hat, die unzensierten, ungeschnittenen Videos zu sehen. Wobei jeder selbst entscheiden muss, ob er das tatsächlich will.

Von einer Konkurrenzsituation will auch Matthias Fornoff vom ZDF nicht sprechen. „Jeder hat heute seine DigiCam dabei, kein Sender kann an so vielen Orten der Welt gleichzeitig sein. Wir haben darum großes Interesse an diesen Videos, aber auch an den Personen hinter den Kameras, um über sie die Geschichten erzählen zu können“, sagte er dem Tagesspiegel. Gesendet werde aber nur, was unseren ethischen Grundsätzen entspräche. „Bilder von Menschen, die erst das Strandleben genießen und nach der Welle ertrunken sind oder als vermisst gelten, kommen bei uns nicht über den Sender“, grenzt sich ZDF-Mann Fornoff gegenüber den Bloggern ab.

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