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Talkshow-Gastgeberin Anne Will.

© dpa

TV-Talk "Anne Will" zur Flüchtlingspolitik: Erklären, statt Ängste schüren

"Anne Will" ist zurück aus der Sommerpause: Und die erste Sendung widmet sich, wieder einmal, der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel.

Von Caroline Fetscher

Die Fernsehteams klettern aus dem Sommerloch zurück auf die Bildschirme. Alles ist wieder da, die Probleme, die Polemik, die Gedanken, das Gezänk. Den Wahlniederlagen der CDU und der Kritik der CSU an der Regierungschefin hatte sich die erste, sonntägliche Anne-Will-Runde verschrieben. Dass die Frau am Steuer des Deutschlanddampfers klar ihren Kurs in der Asylfrage hält, stört Teile der Bevölkerung. „Führt Angela Merkel die Union damit in den Abgrund?“, lautete eine der Leitfragen zur Sendung, eine weitere: „Bleibt Deutschland noch Deutschland, wie die Kanzlerin sagt?“

Nun ja, Abgrund. In den Augen vieler jedenfalls, vor allem bei CSU und AfD, bedrohen Scharen Fremder das Abendland. Einen ihrer weißen Ledersessel räumte Will daher dem CSU-Kronprinz Markus Söder ein, derzeit Finanzminister Bayerns. Söder rezitierte das CSU-Mantra wonach es „unbegrenzte, unkontrollierte Zuwanderung“ gebe und Parallelgesellschaften „wie in Paris oder Brüssel“ im Entstehen begriffen seien.

Auf einem anderen Sessel saß, aus einer anderen Sphäre sprach Martin Patzelt, christlicher CDU-Politiker aus Frankfurt an der Oder, der in sein Zuhause zwei junge, aus Eritrea geflüchtete Männer aufgenommen hat. Patzelt ist unter anderem im Bundestagsausschuss für „Menschenrechte und humanitäre Hilfe“ aktiv.  Patzelt widersprach Merkels Kritikern, indem er auf die Kurswechsel  der Kanzlerin hinwies, die gleichwohl nicht klar, nicht offen genug kommuniziert worden seien. Angst entstehe, wenn man sagt „das schaffen wir nicht“ – der Mann, der selber hilft, erklärte: „Integration kann nur gelingen, wenn die Bürgergesellschaft mitmacht.“ Man könne nicht jedem einen Sozialarbeiter auf den Rücken binden.

Jagoda Marinić - kein Talkshowdauergesicht

Ralf Stegner, Bundes-Vize der SPD, analysierte in gewohnter Schnelligkeit die Ergebnisse der Landtagswahlen: „Frau Merkel ist für ihre Führungslosigkeit abgestraft worden“ – die Union sei keine Union mehr, sondern ein Bild der Zwietracht, die SPD würde nun aber nicht den Schiedsrichter spielen zwischen Bayern und Berlin. Jahr für Jahr eine Million Zuwanderung, nein, das erkennt auch Stegner nicht als realistisch, doch eine Verteilung auf Europa, Kontingente für die EU-Staaten.

Auch eine Neue durfte dabei sein. Bisher kein Talkshowdauergesicht ist Jagoda Marinić, 1977 in Schwaben als Tochter kroatischer Einwanderer geboren. Die Schriftstellerin leitet die Kultursektion des International Welcome Centre in Heidelberg und veröffentlichte unlängst ihr Buch „Made in Germany - Was ist deutsch in Deutschland“, das dazu auffordert, anzuerkennen: Überall gibt es Mobilität, die EU-Außengrenzen werden nie zur Festung werden.

Nie habe sie sich früher vorstellen können, bekannte Marinić, was sie derzeit tut: dass sie eine CDU-Kanzlerin verteidigt, die bei ihren humanitären Prinzipien bleibt. „Es ist eine zuversichtliche Aussage einer Kapitänin zu sagen: Wir schaffen das.“ Vor allem müsse die Politik bedenken, welche Ängste in der Bevölkerung vor knappen Renten und Armut im Alter haben. Stegner pflichtete bei: „Genau diese Ängste schürt die CSU!“ Sie erkläre nicht, wie Obama in den USA, „unsere Stärke ist die Vielfalt“, sondern sehe die „Stärke in der Einfalt“.

Söder denkt vorrangig an "die Einheimischen"

In vielen Städten, so Söder, hätten die Einwohner den Eindruck, dass Deutschland nicht mehr Deutschland sei: „Hilfe für andere, ja, aber ein Land muss vorrangig an die Einheimischen denken.“ Das Land, meint der Mann, könne nicht unendlich viele integrieren. Ob mit oder ohne Integrationspolitik, argumentierte Marinić leidenschaftlich, schließlich lebten gut „20 Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland“ die das Land mit aufgebaut haben, und „wir sprechen hier über die problematischen ein oder drei Prozent!“ Daher ihr Plädoyer für die doppelte Staatsbürgerschaft als sinnvolle Sache.

Als Demokratin würde sie ihre Kinder nicht zwischen zwei Ländern zerrissen wissen wollen. Der deutsche Pass als Ausweis der Akzeptanz und Teilhabe sei ihr, Marinić, wertvoll und wichtig. Viele hätten hier gelebt, haben hier gearbeitet und sind hier gestorben, führte sie aus, ohne je als Staatsbürger von Deutschland aufgenommen worden zu sein.

Mehrfach erinnerte Ralf Stegner an das Selbstverständlichste: Das Grundgesetz. Anders als „die Leitkultur der CSU“, sagte Stegner, habe es eben generell und umfassend Geltung. Das generelle Verschleierungsverbot etwa, das nur wenige Frauen betreffen würde, sei mit dem Gesetz nicht vereinbar, und könnte zu absurden Maßnahmen wie einem Verkleidungsverbot im Karneval führen. Und würde man eine  „Obergrenzen“ für Asylsuchende festlegen, bräche ein Grundrecht, jenes auf Prüfung aller Asylanträge.

Patzelt stimmte zu: „Eine Million Flüchtlinge, und das Land ist nicht zusammengebrochen.“ Aufschlussreich zitierte er empörte Empfänger von Grundsicherung aus seinem Wahlkreis, die sich beschweren, alle Flüchtlinge würden neue Wohnungen, neue Kühlschränke erhalten.

CSU-Vorschlag laut Wissenschaftler hart an der Grenze zum Rassismus

Für wissenschaftliche Schlaglichter sorgen sollte mit Wolfgang Merkel ein Namensvetter – kein Verwandter - der Kanzlerin, Politologe und Sozialforscher an der Humboldt-Universität und am Berliner Wissenschaftszentrum. Die 82 Prozent der Bevölkerung, die den Kurs der Kanzlerin nicht mittragen wollen, müsse die Politik ernst nehmen, forderte Wolfgang Merkel, doch die Debatte um das Burkaverbot sei ein Nebenschauplatz. Sehr kritisch sieht Wolfgang Merkel den CSU-Vorschlag, bevorzugt Migranten aus dem „christlich-abendländischen Kulturkreis“ ins Land zu lassen. Das sei „religiös-ethnische Selektion“ und hart an der Grenze zum Rassismus.

Sofort wehrte sich Söder vehement, es handle sich bei Muslimen um einen „Kulturkreis der extrem schwierig ist“, die „gemeinsame Idee einer toleranten Gesellschaft“ werde von vielen nicht geachtet. Söders Stimmungsmache in „Verantwortung für das Volk“ nutzte Zahlen, wie sie derzeit in rechten Kreisen gern zirkulieren: Ein unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling koste pro Monat mehr, als ein deutscher Rentner, der vierzig Jahr lang gearbeitet und Beiträge eingezahlt hat! So ist es – Sozialausgaben sind teuer. Auch betreutes Wohnen für deutsche Drogensüchtige, Haftplätze generell und das Leben in Seniorenheimen kostet pro Monat Tausende. Doch die Mehrzahl der Neuankömmlinge leben in Billigunterkünften auf engstem Raum.

Staunenswert faktenferne Eigendynamik

Kritik an Angela Merkels Flüchtlingspolitik hat eine staunenswert faktenferne Eigendynamik gewonnen. Ihre Missbilliger orientieren sich dabei mehr an Gerüchten und Kolportiertem, als an Realität und Vernunft. Keineswegs kommen ja seit September 2015 „unregistriert Millionen“ ins Land, wie AfD und CSU behaupten.

Den Kurs der Kanzlerin, das Grundgesetz, das Recht weiter zu achten anstatt populistisch ins Xenophobe abzudriften, bezeichnete Heribert Prantl unlängst zu Recht als das, was von integren Demokraten erwartet wird: Haltung. Bedauerlich ist allerdings, wie selten Angela Merkel selber ganz einfach diese Fakten erklärt. Sie macht an sich nicht gern viel Worte. Hier würden, das bewies auch diese Anne-Will-Debatte, doch aber schon wenige, klare helfen.

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