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Medien: Vier für Heine

Zum 150. Todestag des Dichters kam das „Literarische Quartett“ wieder zusammen

Hier fehlt nur noch er selbst. Zuzutrauen wäre es ihm, sich einfach unter die Gäste zu mischen. Ein ganzes Hamburger Theater ist voll, die Ränge im Deutschen Schauspielhaus sind bis auf den letzten Platz besetzt, und das alles wegen ihm. Das darf er doch nicht verpassen! Und ausgerechnet in Hamburg, nicht in seiner Heimatstadt Düsseldorf. In diesem Hamburg, unter dem Heinrich Heine gelitten hat wie unter keiner anderen Stadt. Das er verspottet hat wie keine andere. Manchmal haben seine Briefe Anfänge wie „Verfluchtes Hamburg, den …“.

In dieser Stadt ging sein kleiner Laden „Harry Heine & Comp.“ am Graskeller 139 pleite, hier gab es keine Advokatur für ihn, hier gab es keine Liebe für ihn, jedenfalls nicht die seiner Cousine Amalie; hier bekam er zuletzt auch nicht die Stelle des Ratssyndikus. Darum ist er dann nach Paris gegangen. Als Ratssyndikus hätte er eine ehrsame Allongeperücke getragen, seidene Pluderhosen und einen spanischen Mantel, und er hätte den hochzeremoniösen Ratsversammlungen beiwohnen müssen und alles aufschreiben, was die wichtigsten Hamburger Herren Wichtiges sagen. Er hat das wirklich gewollt, seine Sehnsucht nach bürgerlicher Anerkennung war übermächtig. Aber vielleicht ist es doch besser, dass andere jetzt über ihn reden und aufschreiben, was er, Heinrich Heine, Wichtiges gesagt hat. So weit muss es der Mensch erst einmal bringen, und das in Hamburg! Es gibt keine Nachwelt für Ratssyndikusse.

Marcel Reich-Ranicki weiß genau, was diese Hamburger Heine-Nacht dem Dichter bedeutet hätte. Er hat das „Literarische Quartett“ noch einmal zusammengerufen, nur wegen des unglücklichen Hamburgers Heine, und entwirft zu Beginn in wenigen Strichen sein Porträt, das schon alles enthält. Das „Literarische Quartett“ als Ehrengremium hat nur ein Problem. Normalerweise wären Hellmuth Karasek oder Iris Radisch ihrem Vorredner längst ins Wort gefallen mit dem Nachweis, dass alles ganz anders ist als soeben behauptet: Ein miserabler Autor! Ein miserables Buch! Aber wer soll hier den Part des Verächters übernehmen? Ja, wenn Karl Kraus noch da wäre, dieses geistige Kind Heines, das sich als Vatermörder gefiel.

Ohnehin hatte Heine immer viel mehr Feinde als Freunde, nur heute sind plötzlich keine Feinde mehr da. Und Iris Radisch unterbricht ihren Vorredner nur, um ihn zu ergänzen. Oder nein, sie hat wirklich etwas auszusetzen an Reich-Ranickis Behauptung, der ganze romantische Plunder der Mägdelein, Rosen, Monde und Nachtigallen sei bei Heine verschwunden. Ist er nicht!, sagt Radisch, und beide haben recht. Heine selbst wusste das am besten. „Rosen, Mond und Nachtigallenfrikassee“ – davon handelten seine frühen Lieder. Heine, der Romantiker, als Anti-Romantiker. Dabei hat er die deutschen Nachtigallen geliebt und Paris am meisten für seine Nachtigallenarmut kritisiert. Man darf Heine nicht trauen, wenn er kühl über etwas spricht. Etwa über Italien. Hellmuth Karasek fällt darauf herein. Er glaubt, Heine fand Italien langweilig. Nur weil der gesagt hat, es gäbe nichts Langweiligeres auf der Erde als die Lektüre einer italienischen Reisebeschreibung – außer etwa das Schreiben derselben. Das war natürlich als antigoethische Frechheit gemeint und verbirgt bewusst, wie sehr Heine dieses Italien liebte. Die wenigen Monate dort waren die glücklichste Zeit seines Lebens.

Heine hatte Frauen eigentlich nichts zu sagen, vermutet Iris Radisch. Reich-Ranicki vermutet etwas ganz anderes, obwohl das mit dem „Sagen“ schon sein kann. Gerade Dichter müssen nicht immer reden. Heine war eben genauso frech zu den Frauen – schriftlich – wie zu Italien und zu den Nachtigallen. Marcel Reich-Ranicki und Monika Maron als Gast des „Quartetts“ besitzen vielleicht das untrüglichste Gespür für den Maskenspieler Heine. Und einmal wird aus diesem Quartett der Ehrerbietung dann doch so etwas wie eine Kontroverse. Und zwar genau dann, als Karasek auf den Ideologen, den Polemiker Heine zu sprechen kommt. Maron: Heine war von Natur aus unideologisch! Kann sein, Diktaturerfahrene wie Monika Maron wissen so etwas. Und vielleicht ist Heines Judentum auch die Wurzel des Anti-Ideologen Heine. Hier wurde dieser „große Judenschmerz“ (Börne) nicht eigens zum Thema. Heine wäre wohl einverstanden. Wer ihn nicht bemerkt in allem, was er (nicht) sagt, dem ist er auch nicht zu erklären.

Kerstin Decker hat eine Biographie über Heine mit dem Titel „Heinrich Heine. Narr des Glücks“ geschrieben.

Das „Literarische Quartett“ wird heute um 22 Uhr 15 im ZDF ausgestrahlt und am Sonnabend um 20 Uhr 15 auf 3sat wiederholt. Im Anschluss zeigt 3sat „Heinrich Heine. Liebe, Spott und Vaterland. Eine Hommage“.

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