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Medien: Von Pferden und Menschen

Arte zeigt 15-teilige Dokusoap über Gestüt in Holstein

Das Schönste sind die Gegensätze. Zeigt das Bild ein Nebelfeld, knallgrüne Wiesen, Morgenlicht, Idylle eben, dann sagt der Ton: „Die Produktion läuft auf Hochtouren.“ Und damit hat die Dokumentation „Das Gestüt“ schon in den ersten Minuten ihren Charakter gezeigt: Naturschönheit und Wirtschaftlichkeit. Idylle und barsche Realität. Immer beides.

Das Leben auf einem Pferde-Zuchthof in Norddeutschland verfolgt die neue Dokuserie „Das Gestüt“ von Arte. Sie funktioniert ähnlich wie die Nachmittagssendungen, die es über den Alltag im Berliner, Leipziger und Kölner Zoo gibt. Nur diesmal mit Pferden statt Elefanten. Und mit weniger Menschen als in einem Zoo. Der Hof Thormählen ist übersichtlich, es gibt ein Besitzerpaar und vier Angestellte. Das tut gut, weil der Zuschauer so über die 15 Folgen hinweg eine soap-ähnliche Beziehung zu den Darstellern aufbauen kann. Die Charaktere haben genug Platz zu wachsen, der Blick auf die Menschen wird von Folge zu Folge schärfer.

Da ist etwa der Gestütsbesitzer Harm Thormählen. In der ersten Folge ist er noch der ältere Bauer, der trocken und einfach spricht. Sein einziger Kommentar, als er ein neu geborenes Fohlen anschaut: „Reckt er sich, dann isser gesund“. Das wirkt erst mal wie eine wahre, herzlose Bauernweisheit. Irgendwann später wird man ihn aber verzückt Fotos von Pferden anschauen sehen. Er lässt jedes einzelne fotografieren – und dieser Mann hat 150 Tiere! Irgendwann wird er auch sagen, alleine auf einer Graskoppel stehend, er möge sich das gar nicht vorstellen, woanders als hier zu leben. Und dann bricht er ab, muss sich wegdrehen von der Kamera und geht ein Stückchen Richtung Wiese.

Das sind die sehr menschlichen Blicke, die das Team um Kerstin Hoppenhaus zeigt. Sehr nah und sehr echt wirkt das. Vielleicht manchmal zu nah, denn einige Dinge werden gar nicht hinterfragt: Dass die Pferdewirtin etwa über dem Stall in einer Kammer, ähnlich wie zu Gutsherrenzeiten, wohnt. Ärmlich, und neben dem Bett steht die High-Tech-Überwachungsanlage, mit der sie ständig die Fohlenbox auf dem Fernseher sehen kann, um keine Geburt zu verpassen. Das ist schon mehr als skurril.

Oder da gibt es die Szene mit einer Zuchtstute, die wegen ihrer schmerzenden Hufe mehr liegt als steht und deshalb Extra-Behandlungen vom Schmied und Tierarzt bekommt. Ob das nicht Tierquälerei statt Liebhaberei ist, ob hier Schmerzen in Kauf genommen werden, um die Ressource Muttertier aus rein wirtschaftlichem Interesse zu halten, wird nicht gefragt. Solche Situationen werden völlig aus der Perspektive der Gestütsbesitzer gezeigt. Da gibt es keinen kritischen Blick. Wenn es drauf ankommt, setzt Regisseurin Hoppenhaus auf Nebelschwaden und stelzende Fohlen, Romantik eben.

Vielleicht ist daran der Wille zur Subtilität schuld. Oft gelingt die auch. Die Kamera erzählt viel alleine, die Schnittführung ist klug, der Ton sachlich. So wird stellenweise schon eine andere Ebene herausgekitzelt. In Gesichtsausdrücken, in Nicht-Gesagtem, da wird schon klar, dass der Bauer etwa nicht so recht anerkennen kann, wie viel seine Angestellten tun – weil er selbst sehr viel schuften musste. Oder es zeigt sich die weiche Seite des Harm Thormählen: Als er sich beim Drainage-Reinigen an die Apfelbäume erinnert, die auf diesem Feld standen, als er jung war und er da erstmals geküsst hat.

Ganz stark ist die Doku-Serie darin, gemäldegleiche Kamerabilder einzufangen. Es gibt sehr viele Einstellungen, an denen man sich kaum satt sehen kann: der Himmel, zwei Drittel des Bildes, darunter Feld, Bäume. Cowboyromantik in Norddeutschland. Direkt darauf dann wieder so ein sauber, gut gesetzter Schnitt weg von der Landschaft, hin auf das plüschige Ohr eines Fohlens, auf ein Pferdeauge. Details. Das Auge des Zuschauers darf schwelgen.

„Das Gestüt“; Arte, von Montag an täglich 20 Uhr 15

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