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Vor Gericht: Im Konflikt zeigt ein Mensch Kontur

Rolf Hochhuth befindet sich jetzt im Widerstand gegen die Deutsche Presse-Agentur. Stein des Anstoßes ist das Denkmal von Georg Elser.

Fünf Stockwerke über Berlin hat Rolf Hochhuth in seiner Wohnung Weidenkätzchen und einen Panoramablick auf Eisenmanns Holocaust-Mahnmal. Warum, habe er Eisenmann gefragt, hast du nicht die Namen in die Stelen eingraviert? Namen hätte es doch genügend gegeben...

Da ist er schon, der ganze Hochhuth. Der das, was wir als „die Geschichte“ wahrnehmen, auflöst in Schicksal und Verantwortung Einzelner. „Wahrscheinlich haben auch 100 000 Deutsche gesagt: Wann bringt endlich einer den Hitler um? Aber versucht hat's eben einer.“ Und zwar Georg Elser, der 1939 im Münchner Bürgerbräukeller sein missglücktes Attentat durchgeführt hatte, 1945 von den Nazis erschossen und dann weitgehend vergessen wurde. Der Mann, für den Hochhuth ein spätes Denkmal angeregt hat. Der Mann, mit dem dieser Streit beginnt.

Hochhuth, überzeltet von einem gestreiften Sommersakko, lehnt seine 81 Jahre gegen die geschnitzte Lehne seines Stuhls. Vor ihm eine Kuchentafel. Das Knäuel der Argumente von Hochhuths letztem Streit zu entwirren, wird so lange dauern, dass der Kaffee vorsichtshalber in einer Thermoskanne steckt.

Hochhuth erhielt nämlich einen strafbewehrten Gerichtsbeschluss auf Unterlassung. Die angedrohte Strafe beträgt maximal 250 000 Euro, wahlweise sechs Monate Haft. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) will von ihm einen Satz nie wieder hören, den sie als rufschädigend einstuft. Einen Satz, der glauben machen könnte, die Agentur habe nicht ausreichend auf die Enthüllung des Berliner Denkmals für den Hitler-Attentäter Georg Elser im November 2011 hingewiesen.

Wenn er aber seine Behauptung nicht wiederholt, wird gar nichts passieren.

Wenn man, wie Hochhuth, Gesellschaft als persönliche Verantwortung versteht, dann ist alles auf die Entscheidung Einzelner zurückzuführen. Das hat zur Folge, dass Hochhuth alles, was ihm zustößt, persönlich nehmen muss. „Ich habe keine Absicht, mich als Lügner hinzustellen. Sondern selbstverständlich werde ich das wiederholen und drucken lassen. Ich habe die Wahrheit gesagt,“ sagt Hochhuth.

Sie verstehen die geforderte Unterlassung als Vorwurf, ein Lügner zu sein?

„Ja was denn anders? Die Unterlassungserklärung zu unterschreiben, wäre meine Bescheinigung, dass ich ein Lügner bin.“

Die dpa kann nachweisen, dass sie über die Enthüllung des Denkmals berichtet hat. Bilder zeigen Hochhuth, wie er seine Rede hält. Aber darum geht es nicht, sagt Hochhuth. „Der springende Punkt ist, dass dpa sich geweigert hat, Tag und Stunde der Denkmalenthüllung bekannt zu geben.“ Und zwar vor der Enthüllung, so frühzeitig, dass die Zeitungen es noch hätten ankündigen können. „Dpa hat das keiner Zeitung gemeldet.“

Woher er das weiß?

„Weil keine einzige Berliner Zeitung vorab berichtet hat.“

Wie aber kann er von der Berichterstattung auf die Information durch dpa schließen? Dazwischen stehen noch Redakteure, die auswählen, was sie melden.

„Ich bin nicht so unten durch in Berlin, und auch Georg Elser ist das nicht, dass keine Zeitung, hätte sie davon gewusst, das nicht angekündigt hätte. Das gibt's nicht.“

Auf die Idee, dass es nichts mit ihm zu tun haben muss, kommt Hochhuth nicht.

Er weiß, dass die dpa in keiner Weise verpflichtet ist, irgendetwas zu melden. Aber: „Sie zeigen mich an, weil sie sagen: Sie haben es den Zeitungen gemeldet. Und das ist nicht wahr.“

Differenziert liest sich der Satz, den dpa sich verbittet, natürlich nicht. Man könnte auf den Gedanken kommen, die Agentur habe eine Berichterstattung generell verweigert.

Die dpa wundert sich deshalb, dass Hochhuth nicht einfach die Unterlassung akzeptiert hat, denn damit wäre ein Gerichtstermin gar nicht nötig gewesen.

Nur ist es Hochhuth noch nie um die Vermeidung von Konflikten gegangen. Im Konflikt zeigt ein Mensch Kontur.

Die öffentliche Äußerung ist Hochhuths Kunst und sein Beruf. Sie ist Ausdrucksform, Arbeitsmittel, politisches Ideal. Als Bühne dient, was sich bietet. 1963 hatte er im Theater mit dem „Stellvertreter“ seinen Skandal. Der Rücktritt des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger beginnt 1978 mit einer Unterlassungsklage desselben, weil Hochhuth den ehemaligen Marine-Richter einen „furchtbaren Juristen“ nennt. Zuletzt hatte Hochhuth mit einem Zeitungsartikel bewirkt, dass der Hitler-Attentäter Georg Elser in Berlin endlich sein Denkmal erhält. Er hat den öffentlichen Streit als gesellschaftliches Erkenntnisinstrument lange erprobt.

Hochhuths öffentliche Äußerung zu verbieten, heißt deshalb, ihn im Kern zu treffen. Ihm das Hochhuth-Sein verbieten.

Hätte dpa keine einstweilige Verfügung auf Unterlassung beantragt, wer weiß, vermutlich hätte es gar keinen Anlass gegeben, seinen Satz noch einmal zu wiederholen. So aber sitzt Hochhuth in seinem Lehnstuhl und faucht: „Das ist eine ungeheure Rufschädigung gegen den Hochhuth, dass man sofort ihn mit einer Viertelmillion plus zehn Prozent Gerichtskosten überziehen kann, und dass das Gericht weder meinen Anwalt noch mich ein einziges Mal angerufen oder sonstwie gesprochen hat.“ Er spricht von Willkür. „Es wird auch dpa nicht gezwungen, auf den Tisch zu legen, wie sich diese 250 000 Euro zusammensetzen, um die ich sie geschädigt haben soll. Das ist dieser Staat. Ekelhaft.“

Dann will er zum Denkmal, zu Elser, einem seiner persönlichen Helden, der seine eigenen moralischen Maßstäbe lebte. Als Einzelner. Auf eigenes Risiko.

Weil die Nähe zu Elser nun auch eine geografische ist, weil das Denkmal quasi direkt vor seinem eigenen Briefkasten aufgestellt wurde, sieht er es täglich auf seinem Weg zur „Peking-Ente“ oder ins Steak-Haus, wo er manchmal spät Zeitung liest, abends, wenn deren Inhalt ihn nicht mehr so ablenkt von seinen eigentlichen Zielen, die er am Vormittag verfolgt. Dann ist er natürlich froh, dass es dieses Denkmal nun gibt, weil Elser es verdient hat. „Wer, wenn nicht er.“

Es geht darum, sagt sein Anwalt Uwe Lehmann-Brauns am Telefon, ob ein Künstler und Schriftsteller seiner Enttäuschung über eine Sache – auch zugespitzt – öffentlich Ausdruck verleihen darf. Ob diese Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt sind.

Beide Parteien halten die Sache eigentlich für zu nichtig, um derart zu eskalieren. Beide verstehen deshalb nicht, warum die andere Seite nicht einlenkt. An diesem Freitag, 12 Uhr, treffen sie sich vor dem Hamburger Landgericht. Der Prozess ist selbstverständlich öffentlich.

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