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Medien: Vorsicht! Werbung

Seit nunmehr drei Jahren durchweicht "nicht wirklich" die deutsche Sprache. Die Moderatoren der Privatsender benutzen die Scheinrealität.

Seit nunmehr drei Jahren durchweicht "nicht wirklich" die deutsche Sprache. Die Moderatoren der Privatsender benutzen die Scheinrealität. Schüler beschönigen damit ihre Leistungen: "Hast Du wieder eine Arbeit vergeigt?" "Nicht wirklich!" Und Politiker sprechen von Gefahren oder Steuererhöhungen, die so gar nicht gegeben sind. Seit kurzem hat der ungewisse Tatbestand auch in der Werbung seinen festen Platz gefunden. Hier war lange Zeit "vom Feinsten" bevorzugtes Zitat der sprachlichen Subkultur. Gefolgt von "affengeil", "krass" und totalen Eigenschaften aller Art. Etwa "total preiswert."

Nun wäre es ein Unding, von der Werbung eigensprachliche Leistungen zu erwarten. Die führen regelmäßig zur Katastrophe: landlecker, knusperfrisch, vollfruchtig, nagelfreundlich, hüpfgesund oder springlebendig. Immerhin sind diese verbalen Homunkuli auf dem Misthaufen der Werbesprache gewachsen. Wirklich schlimm werden Spots oder Anzeigen, die mit "He, Alter booaaah eh, das ist aber geil!" daherkommen. Nicht nur, dass sich die Sprache der Kids ständig verändert. Es ist auch höchst lächerlich, wenn Produkte von großen Konzernen plötzlich im Teenietalk sprechen. Herr Ferrero, Frau Procter und Fräulein Lever sind keine Viertklässler, jedenfalls nicht wirklich. Die sind ohnehin viel heller als die Leute in den Marketingetagen, wo man - wie vor 30 Jahren - auf die Jugendsprache setzt. Wenn ein stinkseriöser Mineralbrunnen plötzlich eine megageile Fruchtschorle auslobt, wirkt das auf junge Leute wie ein Opa, der sich den Bart vollgekleckert hat. Da helfen auch nicht die schrille Klamotte oder Punkfrisur, jedenfalls nicht wirklich. Es gibt keinen jungen oder alten Durst. Sondern nur das Bedürfnis, bei Hitze, Trockenheit oder zum Sport was Erfrischendes zu trinken. Das aber ist wirklich.

Reinhard Siemes

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