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Bis hierher und nicht weiter. Das Absperrband zeigt, wie weit die Medien bei der Berichterstattung zum Anschlag in Berlin gehen dürfen.

© REUTERS

Macht und Ohnmacht der Bilder: Wo hört die Information auf – und wo fängt Propaganda an?

Anschlag in Berlin, Anschlag in Ankara: Wie Medien versuchen, besinnungslosen Zeiten mit Besonnenheit zu begegnen

Der Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin war ein Extremereignis. Begleitet von extremer Berichterstattung in Hörfunk und Fernsehen, auf Nachrichtenplattformen und in sozialen Medien. In das chaotische Geschehen hinein suchten Reporter und Experten nach Gewissheiten, nach Fakten und Wahrheiten. Da ist vielen Berichterstattern vieles gelungen, und wenn es auch zynisch klingen mag: Die Medien in Deutschland wissen mit jedem Anschlag besser und professioneller mit solchen Lagen umzugehen.

Natürlich sind die öffentlich-rechtlichen wie die privaten Fernsehsender, tagesspiegel.de wie tagesschau.de herausgefordert, das „Faktizitätsvakuum“ – ein Ausdruck des Tübinger Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen – schnell und gründlich zu füllen. Das hat, was Tat und Tatort am Breitscheidplatz angeht, funktioniert. Es wurde über die Bilder, über die O-Töne, über die Interviews so besonnen wie mitfühlend reagiert. Auf das extreme Ereignis folgten extreme Anstrengungen. Aber wahrlich keine extreme Stimmungsmache. Schrecken und Grauen wurden zurückhaltend visualisiert.

Der Täter? Die Täter? Da kam Unsicherheit auf

Aber zur Sicherheit trat die Unsicherheit, wenn die Rede auf den Täter/die Täter (?) kam. Pörksen nennt das das „Interpretationsvakuum“. Person, Herkunft, Motiv, das waren die schwarzen Löcher am Dienstagabend. Nur vereinzelt wurde die Kette vom mutmaßlichen Afghanen oder Pakistani hin zum mutmaßlichen Auftraggeber des „Islamischen Staates“ gespannt. Hier waren es einige der zahlreichen bis zahllosen Experten, die aus Indizien Beweise, aus Spekulationen Antworten fürs aufgewühlte Publikum gewinnen wollten. In der Not zur Erklärung, quasi zur Abbindung des Geschehens, gab es auch News, die keine, sprich Fake News waren. So wird Gewissheit simuliert, wo das Bekennen der Ungewissheit die größere, die ehrliche Berichtstat wäre.

Die Grenze zwischen Information und Desinformation ist sehr fein und sie muss bei jedem Extremereignis neu gezogen werden. Am Abend des 19. Dezember 2016 lag sie quasi parallel zu den Absperrbändern der Polizei rund um den Breitscheidplatz in Berlin. Von dreisten Grenzüberschreitungen, von groben Grenzverletzungen muss nicht berichtet werden. „Besonnenheit in besinnungslosen Zeiten“ nennt das Bernhard Pörksen.

Anschlag in Ankara

Bei all den dramatischen Geschehnissen rund um den Breitscheidplatz in Berlin ist die zweite Schreckensnachricht der Nacht samt medialer Begleitung fast etwas aus dem Blick geraten: In Ankara ist der russische Botschafter in der Türkei getötet worden. Ein türkischer Polizist erschoss den Diplomaten Andrej Karlow, während dieser eine Fotoausstellung in der türkischen Hauptstadt eröffnete. Der Täter rief nach seiner Tat islamistische Parolen. In der „Tagesschau“ am Montag im Ersten um 20 Uhr waren dann sekundenlang bewegte Bilder von dem wild mit der Pistole drohenden und Parolen rufenden Polizisten zu sehen, eine Szene fast wie aus der US-Serie „Westworld“.

Was die Frage aufwirft, ob diese Bilder-Sequenz nötig war. Wo hört Information auf, und wo fängt Propaganda an, im Sinne von medialer Wahrnehmung der Ziele der Terroristen?

ARD-aktuell-Chef Kai Gniffke verweist gegenüber dem Tagesspiegel darauf, dass die Bilder des toten russischen Botschafters am Boden in der „Tagesschau“ nicht zu sehen waren. Die Sendung habe bewusst darauf verzichtet. „Wir tun dies, um die Würde des Opfers zu wahren und den Zuschauern Bilder von großer Rohheit zu ersparen. Über Terroranschläge müssen Nachrichtenredaktionen vollständig und unvoreingenommen berichten. Dabei gelten die journalistischen und ethischen Regeln, denen sich ARD-aktuell verpflichtet fühlt. Keinesfalls sollte es durch die Berichterstattung zu einer Ikonisierung der Täter oder der Tat kommen, die stets von den Terroristen intendiert ist.“

Ikonisierung des Täters

Auch ohne den toten Botschafter im Bild – die Sequenz mit dem drohenden Polizisten, die in der „Tagesschau“ zu sehen war, könnte durchaus einer Ikonisierung des Täters zuträglich sein. „Wir haben den Täter von Ankara, wie auch die ARD, offen gezeigt“, sagt Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF. „Es ist eine schwierige Abwägung. In Ansicht der Sendung kamen wir zu dem Schluss, dass wir das Gesicht besser unkenntlich gezeigt hätten.“ Und mit Blick auf die Berichte über die Lkw-Attacke vom Montagabend: „Wir haben auch Videoangebote vom Breitscheidplatz bekommen, das Material dann aber aus ethischen Gründen nicht gesendet. Allerdings haben wir Elemente aus dem Video der ,Berliner Morgenpost’ verwendet.“

Die „Morgenpost“ hatte am Dienstagmorgen auf Kritik an einem Facebook-Live-Video vom Breitscheidplatz reagiert und es auf „unsichtbar“ gestellt. Stattdessen veröffentlicht die Redaktion editierte Ausschnitte. Ein Reporter war direkt nach dem Vorfall über den zerstörten Weihnachtsmarkt gelaufen und hatte Verletzte gezeigt. Passanten kritisierten den Journalisten, griffen ihn an und schlugen ihm das Handy aus der Hand.

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