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Die Zeit drängt. Dr. Thomas Lorenz (Maximilian Brückner) setzt alles daran, das tödliche Jemen-Virus näher bestimmen zu können.

© ZDF und Hannele Majaniemi

ZDF-Serie "Arctic Circle": Dieses Gespür für Kälte

Ein Virus in Lappland – die deutsch-finnische Krimiserie „Artic Circle“ hat ein aktuelles Thema und besticht durch ihre visuelle Kraft

Von Lappland, jedenfalls von seinem finnischen Teil, lässt sich wenig Gutes berichten; sofern die Krimireihe „Arctic Circle – Der unsichtbare Tod“ zum Beleg genommen wird . Nina Kautsalo (Lina Kuustonen) ist eine alleinerziehende Mutter, der Vater will sein Kind mit Down-Syndrom nicht sehen, die talentierte Polizistin ist für kleinkriminelle Ermittlungen deutlich überqualifiziert. Ihre ältere Schwester Marita (Pihla Vitala) findet trotz zahlloser Affären nicht den Mann fürs Leben. Aber einer war dabei, der ihr das tödliche Jemen-Virus verpasst hat. Dieses Virus bringt den deutschen Experten Thomas Lorenz (Maximilian Brückner) in die Kleinstadt Ivalo – und er bringt seine unglückliche Ehe mit. Gunilla (Lorenz Maria Ylipää) ist wahnsinnig eifersüchtig, unberechenbar und zuweilen gewalttätig.

Marita Kautsalo hat sich nicht als Einzige mit dem Yemen-Virus infiziert. Auf der Suche nach Wilderern findet Polizistenschwester Nina mit ihrem Kollegen Aikio (Janne Kataja) eine bewusstlose Frau, die auf einem Hof gefangen gehalten wird. Bald schon finden sich in der Nähe die verscharrten Leichen von zwei weiteren Russinnen. Alle drei haben sie als „Wanderhuren“ gearbeitet, die Prostituierten leben und arbeiten in Bussen, um an wechselnden Orten für die Triebabfuhr finnischer Männer zu sorgen.

Auch Evgenya (Anastazia Trizna) ist mit dem Virus infiziert, das zu Fehlgeburten, Missbildungen und schließlich zum Tod führt. Jetzt gilt: Nina Kautsalo und Thomas Lorenz müssen die Infektionskette untersuchen und offenlegen, nicht nur in Lappland droht eine Pandemie.

Multipersepktivisch

Mit dem „Unsichtbaren Tod“ bekommt „Arctic Circle“ seine Dimensionen. Da sind die Morde an den Prostituierten, da ist der Entführungsfall des Hofbesitzers Raunola (Jari Virman), der gerade noch den Mord an den Frauen gestanden hatte. Da taucht der Pharma-Unternehmer Marcus Eiben (Clemens Schick) auf, der Lorenz über das Europäische Zentrum für Krankheitskontrolle kennt. Eibens Mitarbeiter Drako (Chike Ohanwe) soll eine geheime Basis für Forschungszwecke aufbauen. Der CEO hat eine zweite Agenda. Er jagt den Serben Lazar Cevikovic (Aleksandar Jovanovic), der seine Frau, die Bosnierin Ariadne, infiziert hatte. Seit deren Tod sinnt Eiben auf Rache.

Genug? Nein, es kommen noch Menschenhandel, häusliche Gewalt, zwischenmenschliche Tragik und Lebensgefahr auf vielen Seiten dazu. Nicht zu vergessen: „Artic Circle“, diese finnischdeutsche Serie mit der Streaming-Plattform Eilsa Viihde und Bavaria Film im Produktionszentrum, muss das Publikum über fünf Folgen mit jeweils 90 Minuten tragen. Das sind siebeneinhalb Stunden Erzählfernsehen! Autorin Joona Tena hat mit ihrem Team verschiedene Kosmen integriert: die Kleinstadtgesellschaft, die auf je individuelle Weise nach Glück strebt, die größere (politische) Dimension des grenzüberschreitenden Menschenhandels, der gefürchteten Virus-Expansion, des Bosnien-Kriegs, geklammert vom Duo aus Polizistin und Virus-Experten, mit dem Pharma-CEO zum Trio erweitert.

„Arctic Circle“ kriminalisiert den Wettlauf um Leben und Tod und unterfüttert die Krimihandlung mit Menschendramen. Für beide Stränge lässt sich die Reihe ordentlich Zeit, was die Genauigkeit, die Tiefe, den gern betonten Gegensatz zwischen Stadt- und Landmenschen nur befördern kann – und die Spannung ständig weitertreibt.

Lappländer-Sarkasmus

Regie führt Hannu Salonen, ein Finne, dessen Filmografie von Arbeiten für deutsche Sender – „Tatort“, „Die Toten vom Bodensee“ – geprägt ist. Der Genrespezialist hat das Gespür, wie das Frostige, die Kälte, wie diese sagenhafte Landschaft beim Zuschauer erlebbar gemacht werden muss. „Arctic Circle“ (Kamera: Mikalea Gustafsson) ist eine kraftvolle, intensive Reise in eine Welt voller Widersprüche und Extreme. Für Neo-Lappländer bringt die Polizistin den Virologen auf den Stand der Vorurteile: „Wir kastrieren unsere Rentiere mit den Zähnen. Deswegen haben wir immer so einen angesäuerten Gesichtsausdruck.“

Zusammenspiel von Kälte und Wärme. Diese Brutalität außen und von außen, diese Atmosphäre von Zärtlichkeit und Hingabe. „Arctic Circle“ nur „Nordic Noir“? Keineswegs, durch Schnee und Licht am Polarkreis „Nordic White“. Die Landschaft ist der dritte Hauptdarsteller.

Kuustonen und Brückner protegieren den Eigensinn ihrer Figuren, das Eigene und das Notwendige fürs ganze Geschehen. Sie formen und formulieren kraftvoll. Was den Figuren nicht dient, kommt nicht vor. Beide stehen an der Spitze eines Ensembles, das die vielfältig geäderte Story glaubhaft transportieren will.

Nicht jeder Schuft bleibt ein Schuft.

„Arctic Circle – Der unsichtbare Tod“, ZDF, fünf Folgen, Sonntag, 22 Uhr 15

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