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Panorama: Allein mit der Camorra

Ein junger Italiener hat einen Roman über das organisierte Verbrechen recherchiert – ihm droht der Tod

Den Erfolg bestreitet Robert Saviano nicht; trotzdem sagt er, „dieses Buch hat mein Leben ruiniert. Ich würde es nicht noch einmal schreiben.“ Hunderttausend Exemplare wurden in vier Monaten verkauft. „Aber um mich herum ist eine enorme Einsamkeit entstanden.“ Die Eltern grüßen ihn nicht mehr, der Bruder ist zur Sicherheit weggezogen. Ihm selbst, erzählt Saviano, habe man in Lokalen bedeutet, er sei „nicht erwünscht“.

Dann kamen die Drohungen: Telefonanrufe in der Nacht, Botschaften, nach außen hin unverdächtig, aber „beunruhigend“ für den Experten. Und Saviano ist Experte: Die Sprache der neapolitanischen Mafia versteht er perfekt. „Man hat mir gesagt, keiner vorher habe es gewagt, den Bossen in ihrem eigenen Reich so massiv entgegenzutreten.“ 27 Jahre ist Saviano alt, „aber seit ich lebe, hat die Camorra schon 3600 Menschen ermordet, mehr als die Cosa Nostra in Sizilien, mehr als ETA in Spanien und die IRA in Nordirland zusammen, mehr als die russische Mafia.“ In Neapel und Umland ist Saviano mit der Camorra aufgewachsen, seine Wut hat er in jahrelange Recherchen investiert – und im Mai dieses Jahres kam „Gomorra“ heraus. Sein erstes Werk, eine bedrängend dichte Mischung aus Reportage und Roman, aktuell wie eine Tageszeitung, überreich an Hintergründen und Einblicken. Ein Paukenschlag.

Saviano beschreibt weit mehr als das „verlorene Neapel“, das in seinem Niedergang täglich sichtbar ist: die Schießereien zwischen den Camorra-Clans, der Kampf um den Rauschgiftmarkt, die Erpressung von Schutzgeld – in Campanien zahlen etwa 40 000 Geschäftsleute 900 Millionen Euro pro Jahr.

Vor einem Jahr wurde im September der wohl mächtigste und geschäftstüchtigste Camorraführer verhaftet, Paolo Di Lauro. Politiker und Journalisten aus aller Welt schauten sich in Di Lauros Reich um, der ebenso gigantischen wie trostlosen Betonvorstadt Scampia, wo Kokain und Heroin in rauen Mengen gehandelt werden und die Camorra der größte Arbeitgeber ist: Drei von vier Menschen in Scampia haben offiziell keinen Job, aber von der Mafia leben ganze Häuserblocks: die Dealer, die Wachposten, jene Familien, die Waffen oder Drogen im Schrank verstecken. Frauen, die mit einem untergetauchten oder inhaftierten „Camorrista“ liiert sind, kriegen vom „System“ diskret eine monatliche Pension. Dreizehn Monate nach der Verhaftung Di Lauros ist in Scampia alles, wie es war. „Der Staat ist gekommen, hat sich umgesehen und ist gegangen“, bilanziert Staatsanwalt Giovanni Corona, der den Camorraboss verhaften ließ: „Vorbeugung wäre wichtig. Aber damit muss man bei den Ungeborenen anfangen. Schon die Fünf- oder Sechsjährigen hier sind verloren.“

Roberto Saviano beschränkt sich nicht auf das Sichtbare. Er spürt den Geschäften der „stillen“ Camorra nach, und das, sagt der erfahrene Staatsanwalt Raffaele Cantone, störe die Herrschaften enorm: „Sie wollen verdeckt arbeiten, fernab vom Blick der Öffentlichkeit; alles andere macht sie verwundbar.“ Da ist beispielsweise der Handel mit Müll: In Neapel liegt der Abfall teils meterhoch in den Straßen, weil die Region Campanien fast keine Deponien frei und keine Verbrennungsanlage hat – aber die Camorra hat in den vergangenen fünf Jahren gegen viel Geld drei Millionen Tonnen Müll und Sondermüll aus ganz Italien importiert, irgendwo im Gelände verscharrt oder auf freiem Felde abgefackelt.

Da sind die riesigen Nähereien oder Lederverarbeitungsbetriebe, die offiziell nicht existieren, aber teure Modebekleidung fälschen und als „italienische Markenware“ verkaufen. Und da sind die Bauunternehmen, in denen die Camorra ihr Geld wäscht. Allein im kleinen Casal di Principe hat Saviano 560 offiziell registrierte Firmen gezählt. Die „Casalesi“, das hat 2005 der Megaprozess „Spartacus“ gezeigt, mischen bei öffentlichen Bauaufträgen mit, bei Einrichtungen für die Nato oder bei Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn. Die „schnellen, effizienten, gut organisierten Unternehmen“ der Camorra, schreibt Saviano, könnten „jeden Bauauftrag und jede Großbaustelle in allen ihren Phasen beherrschen“. Die Konkurrenz werde eingeschüchtert, verdrängt, ein „Klima der Angst“ verbreitet.

Das hat Saviano auch so gesagt. Vor drei Wochen, bei einer Anti-Mafia-Kundgebung in Casal di Principe, nannte er die Camorrabosse beim Namen: „Iovine, Schiavone, Zagaria“, rief er von der Bühne, „ihr seid nichts wert. Ihr macht das Land kaputt. Geht weg von hier!“ Seither ist er seines Lebens nicht mehr sicher. Die Präfektur hat ihm ständige Polizeibewachung zugeteilt. Im Internet sind Solidaritätsseiten eingerichtet worden. Umberto Eco, Italiens Schriftstellerautorität, schlug eine eigentlich naheliegende Lösung vor: Im „Fall Saviano“, so Eco, sei man nicht so ausgeliefert „wie im Fall Salman Rushdie, als die tödliche Fatwa von jedem Muslim der Welt vollzogen werden hätte können. Wir kennen hier die Namen der Bedroher. Um Saviano zu schützen, muss die öffentliche Hand nur einmal zugreifen.“

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