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Mittelpunkt in Froschgrün. Rund um die „Green Box“ spielt sich in dieser Wohnung der Alltag ab.

© Ester Bruzkus Architekten/Robert Rieger

Architekturpreis: Eine Box für alle Fälle

Es hat schon Tradition: Jahr für Jahr präsentiert der Callwey Verlag mit „Best of Interior“ die 50 spannendsten Wohnkonzepte. Den ersten Preis hat jetzt das Berliner Architekturbüro Ester Bruzkus gewonnen. Die Jury überzeugten Mut und Minimalismus.

Für die Architektin war es der Idealfall: Ester Bruzkus und ihr Team konnten eine Wohnung planen, bevor der Rohbau stand. Und die Eigentümer, ein junges Paar, ließen ihnen freie Hand. „Beide mochten unsere Projekte und haben uns vertraut“, sagt Bruzkus. 120 Quadratmeter über den Dächern von Berlin galt es spannend und wohnlich zugleich zu gestalten. Am Ende war ein einzigartiges Penthouse entwickelt, für das die Architekten den „Best-of-Interior“ Award 2021 bekamen.

Auf einer Seite der "Green Box" ist Platz für die Küche.

© Ester Bruzkus Architekten/Robert Rieger

Das Zauberwort heißt: Durchblick. Zwei Bestandswände und zwei Fensterfassaden bildeten den Rahmen – und dabei blieb es. Auf die klassische Aufteilung in Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche verzichtete Bruzkus. Stattdessen platzierte sie eine fast deckenhohe „Green Box“ auf die Fläche. Zur einen Seite nimmt der froschgrüne Einbau die Küche auf und leitet über zur „öffentlichen“ Wohnzone, zur anderen Seite kommt man ins Bad und in den Schlafbereich.

Warum grün? "Reine Intuition".

Die Wände und Decken aus geschaltem Beton sowie der helle Holzboden brauchten einen starken Kontrast, sagt die Architektin. Gut, aber wie kommt man ausgerechnet auf Grün? Reine Intuition, vermutlich. Und eine Portion Eigensinn. „Wenn alle das eine erwarten, sollte man unbedingt das andere tun“, findet Bruzkus. Nach ersten Farbanstrichen hätten sie gedacht, es wäre vielleicht doch ein bisschen gewagt. „Aber die Bauherren fanden es super“, freut sie sich.

Zum Lümmeln: Das curryfarbene Sofa vor dem Kamin.

© Ester Bruzkus Architekten/Robert Rieger

Natürlich gibt es auch noch andere Farben in der Wohnung. Ein großes, curryfarbenes Sofa, zum Hinfläzen schön, vor einem Kamin zum Beispiel, ein petrolfarbener Teppich im Eingangsbereich und ein buntes Kunstwerk am Kopfteil des Bettes, nach einem Entwurf aus den 1940er Jahren. Im Bad harmonieren Elemente aus Marmor und rosafarbenem Quarzit. Die Fenster zur Terrasse filtern das Licht mit semitransparenten, langen Vorhängen.

Gediegen. Hinter dem Bett punktet ein Stoff aus den 40er Jahren.

© Ester Bruzkus Architekten/Robert Rieger

Das Auffälligste aber ist die Box. Eine ihrer Seiten dient als Bücherregal. Ist es nicht old school im digitalen Zeitalter, papierne Werke zu präsentieren? „Nein!“, protestiert Ester Bruzkus. „Bücher machen Räume.“ Für die Fotos im Bildband wurden sie farblich sortiert, damit sie besser wirken. „Die Bewohner haben sie hinterher wieder nach Themen aufgestellt.“

Vorhandene Möbel, die man hätte integrieren müssen, gab es nicht. „Sonst hätten wir das natürlich gemacht“, sagt Ester Bruzkus. Aber wenn sich zwei zusammentun, die vielleicht vorher als Studenten, jeder für sich, mit Ikea gewohnt haben, wolle man für die gemeinsame Zukunft wohl etwas Anderes.

Für alternative Entwürfe. Das Erwartbare findet Ester Bruzkus langweilig.

© Ester Bruzkus Architekten/Robert Rieger

Wie immer auf Fotos von Wohnbüchern oder Designmagazinen liegt nirgends etwas herum. Als steril empfinden das die einen, als aufgeräumt die anderen. „Wir schaffen viel Stauraum, für die, die es ordentlich möchten“, erklärt die Expertin. Gerade die Corona-Zeit habe bewirkt, dass sich viele Menschen mit ihrer Wohnung beschäftigten. Es wurde Wert darauf gelegt, zu entrümpeln, den Ballast des Alltags, der sich über Jahre angesammelt hatte, abzuwerfen. Ester Bruzkus mag das. „Es kommt vor, dass ich um drei Uhr morgens anfange, Schubladen auszumisten“, sagt Bruzkus und fügt hinzu: „Es gibt nichts Schöneres als danach einen aufgeräumten Schrank zu haben.“ Minimalismus passt in die Zeit. Aber gibt es daneben modische Trends, wenn sie eine Wohnung einrichten soll? Stopp. „Wir sind keine Einrichter“, stellt Bruzkus klar. Zuallererst komme die Planung, die Grundrisse, 3-D-Skizzen, und dann beginne das Designen. Dabei stellten sich Fragen, wie die Türen funktionieren oder wie man es vermeidet, dass die Küchenzeile zu langweilig wirkt. Ferner: Wo kommt die Kunst hin, wo die Bücher, wenn es welche gibt? Das alles habe mit Trends nichts zu tun.

Ihr Büro plante auch die Villa Kellermann in Potsdam

„Wir überlegen, was passt in den Raum, wie ist das Licht, das hineinfällt“, sagt Bruzkus. Dann entwickele sich alles andere – wenn die Bauherren mitspielen. Es muss passen. „Wir hatten zum Beispiel einen Kunden, der unser offenes Konzept mit wenigen, aber raumhohen Türen nicht verstanden hat.“ Man trennte sich. „Ich gehe auch nicht zu Tim Raue und sage, Dein Fisch ist super, aber könntest Du weniger Salz und Olivenöl nehmen und stattdessen vielleicht Soja?“, veranschaulicht Bruzkus.

Tim Raues Restaurant in der Potsdamer Villa Kellermann hat sie mit ihrem Team geplant. Ebenso wie das „Remi“ im Suhrkamp-Haus in Mitte. Zwei komplett verschiedene Konzeptionen, die zu den jeweiligen Bauten passen sollten. So wird eine Einheit gezaubert, die ein Laie oft nicht antizipieren kann. Einem Bauherren wurden ähnliche Materialien und Farben vorgelegt, wie sie in der Villa Kellermann verwendet wurden. „Er fand das schrecklich“, erzählt Bruzkus. „Als er dann aber im Restaurant gesehen hat, wie das zusammenwirkt, war er begeistert von der Komposition.“ Bruzkus Fazit: „Harmonie und sich Wohlfühlen kommt aus einer klaren Planung.“

Guido Heinz Frinken, Ute Laatz: Best of Interior 2021, Die 50 schönsten Wohnkonzepte, Callwey Verlag, München, 320 Seiten, 59,95 Euro

© Cover: Callwey Verlag

2002 hat sie ihr Büro gegründet und führt es gemeinsam mit ihrem Partner Peter Greenberg. Rund zwanzig Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gehören mittlerweile zum Team. Nach dem Studium der Architektur an der Technischen Universität Berlin ging sie nach Paris, um noch ein Jahr an einer Design-Hochschule dranzuhängen. In der Innenarchitektur habe sie dann ihre Passion gefunden, sagt sie und bedauert, dass dieses Metier in Deutschland noch immer unterbewertet sei und oft mit Raumausstattung verglichen werde. Wer sich hierzulande einen Innenarchitekten leiste, würde oft belächelt. „Dann wird derjenige schon mal in der Familie gefragt, ob er nicht selbst genügend Geschmack hat“, sagt Bruzkus.

Aber, welcher fachfremde Mensch hätte sich so etwas Verrücktes wie eine „Green Box“ ausdenken können? Die Besitzer des Penthouses seien nach wie glücklich damit, sagt die Architektin. Und wohl auch ein bisschen stolz auf ihr preiswürdiges Domizil.

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