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Aschewolke über Europa: Nur Fliegen ist schöner

Die einen können ihr Glück kaum fassen. Die anderen warten immer noch verzweifelt. Langsam fährt der Betrieb des Flughafens Frankfurt am Main wieder hoch – behutsam und mit leisem Stottern.

Ein Foto! Ganz oben auf dem Bildschirm, da blinkt er, ihr Flug in die Dominikanische Republik. Sie lassen Tasche und Rucksack fallen, er zückt die Kamera. Ein Foto. Oder vielleicht doch lieber zwei, weil es so unglaublich ist, dass es noch einmal festgehalten werden sollte. Sie werden also fliegen, Jens und Nicole, ein Pärchen aus Offenbach, 29 Jahre alt. 15 Tage Strand und Sonne.

Es ist Dienstag, Tag eins nach dem kompletten Flugverbot, das die Deutsche Flugsicherung für den Luftraum über dem Land verhängte. Vier Fluggesellschaften bieten wieder Flüge an aus Frankfurt, Lufthansa, Air Berlin, Condor und die Tui. Rund 200 sollen den Flughafen an diesem Tag bis zum Abend verlassen. Langsam füllen sich die Korridore, vor den Schaltern sammeln sich Reisende, der Betrieb im Flughafen fährt wieder hoch, vorsichtig und behutsam – und mit leisem Stottern hier und dort.

Noch laufen nicht alle Gepäckbänder der Förderanlage, die als weltweit einmalig gilt, weil sie Koffer mit einer Geschwindigkeit von 2,50 Metern pro Sekunde bewegt, an guten Tagen 18 500 Stück pro Stunde. Es ist kein guter Tag. Am frühen Morgen steht auf den Anzeigetafeln überall „annulliert“, im Laufe des Tages aber blinken immer mehr grüne Pünktchen auf – es wird geflogen. Mittags dann auch in die Dominikanische Republik, mit Jens und Nicole in den Urlaub.

Der Doktor aus Saudi-Arabien wünscht, dass er schnell wieder nach Hause kommt. Die Reise zu einer Konferenz in Frankfurt war lange geplant. Dann kam die Wolke dazwischen. Samir Abbas blieb im Hotel am Flughafen, vertröstete 40 Patienten in der heimischen Praxis und setzte seinen Namen auf eine Warteliste.

Ein Unternehmer aus China übernachtet seit Tagen bei Freunden, die ihr Hotelzimmer mit ihm teilen. Viermal täglich fährt er zum Flughafen, um zu sehen, ob er nach Hongkong kommt. Er hat Maschinenbau studiert, liebt Berechnungen und Messungen. So etwas Unvorhergesehenes wie ein Vulkanausbruch passt nicht in die Welt von Peter Chan. Trotzdem leuchten auch am Dienstag keine grünen Punkte hinter einem Flug nach Hongkong.

In diesen Tagen im Flughafen zu arbeiten, sagt Jürgen Werner, ein Terminal- Duty-Manager, sei wie eine Sitzung bei einer Wahrsagerin. Man weiß nie, was einem in der nächsten Sekunde mitgeteilt wird. Vergangenen Donnerstag erfuhr er in der Nachtschicht von der Aschewolke, es war vier Uhr früh. 24 Stunden später kam er zur nächsten Nachtschicht. „Da war das Chaos schon perfekt“, sagt er. Nun müssen sie es eben wieder beheben.

Werner koordiniert die Massen vor den Lufthansa-Schaltern, es ist keine Menschenschlange, es ist ein Klumpen. Doch er behält den Überblick. „Routinearbeit am Boden“ sei das, erklärt ein Sprecher des Flughafens.

Hauptsache, die Transit-Passagiere sind wieder fort. Rund 700 saßen in den vergangenen Tagen im zollfreien Bereich des Flughafens fest. Dort, wo nur reinkommt, wer sein Gepäck abgegeben hat, bereit, das Land zu verlassen. Oder wer umsteigt, auf der Durchreise ist, nicht nach Deutschland will, sondern nach Indien, nach China oder Saudi-Arabien. Oder von dort kommt, weiterreist nach Großbritannien, Frankreich.

53 472 915 Passagiere zählte man am Frankfurter Flughafen im Jahr 2008, über die Hälfte von ihnen waren Umsteiger. Reisende, die das Flughafengebäude in Frankfurt nie verlassen, weil sie gleich in den nächsten Flieger steigen. So jedenfalls war es vor der Wolke.

Als die sich am europäischen Himmel ausbreitete, blieben die Passagiere im Transit stecken. In den langen Gängen mit dunklem Gummi-Noppenboden. Es wurden Feldbetten aufgestellt, links und rechts von den Rollbändern, die gewöhnlich Reisende transportieren. Der Flughafen organisierte Essen, eine Internet- Lounge wurde eingerichtet. Ein riesiges Campinglager entstand, mitten im Flughafen.

Die Stimmung war nicht so schlecht, sagt eine, die dort Essen verteilt. Niemand weinte, nicht mal die Kinder. Am Dienstagmittag ist es hier fast leer. Schnell haben sie die meisten der Passagiere abtransportiert. Einige der Feldbetten sind schon aufeinandergestapelt. Aufbruch auch hier, bald werden die Reste des Lagers abgeräumt. Schnell knipst eine Touristin die Liegen.

Nicht im Bild: Adnan Mir, 25 Jahre alt. Er trägt Socken, die nicht ihm gehören, und ein T-Shirt, das ihm geschenkt wurde. Wo sein Gepäck ist, weiß er nicht. Hinter ihm auf Feldbetten liegen ein paar Bekannte. Sie kamen aus Saudi-Arabien, vergangenen Donnerstag, und wollten weiter nach Großbritannien. Er kommt ursprünglich aus Pakistan, ein Einreisevisum für Deutschland hat er nicht. Nur ein so genanntes Ausnahmevisum. Rund 1200 dieser Dokumente hat die Bundespolizei am Flughafen in den vergangenen Tagen ausgestellt. Damit die Transit-Passagiere wenigstens vorübergehend den Flughafen verlassen konnten, sich in die Sonne setzen, die Stadt ansehen. Und sich nicht fühlen mussten wie Eingeschlossene.

Stunden habe er an jedem Tag vor den Service-Schaltern der Fluglinien verbracht, sagt Mir. Nach Großbritannien, wo er schon seit Jahren als Busfahrer arbeitet, kommt er erst mal nicht. Mit seiner kleinen Tochter und seiner Frau telefoniert er täglich, die Handykarte ist britisch, es kostet ihn viel. Zurück nach Saudi-Arabien? Egal, sagt Mir, auch den Flug würde er nehmen. Alles ist besser als das Warten im Niemandsland.

Am Mittag schwirrt der Flughafen wieder, versucht, die Nebenwirkungen der Wolke zu verdauen. Eine Sitzgruppe wird abgesperrt: Dort steht ein verdächtiges Gepäckstück. Eine ältere Dame aus China bricht zusammen. Dann wird über den Lautsprecher für einen Bus nach Alicante geworben, 1850 Kilometer entfernt. Abfahrt 16 Uhr, bei Interesse bitte melden.

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