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Mll zu Kunst. Erwin Sprot macht aus Dosenverschlüssen Armbänder und aus Kronkorken von Bierflaschen Skulpturen.

© Sandra Weiss

Umweltbewusstsein auf Curacao wächst: Aus Plastikmüll wird Kunst

Die bei europäischen Touristen beliebte Karibikinsel geht erste Schritte hin zu einer neuen Kreislaufwirtschaft

Der Christoffelberg mit 372 Metern Höhe ist die höchste Erhebung der Karibikinsel Curacao. In sechs Jahren, schätzt Sabine Berendse, wird Mont Malpais ihn überragen. Malpais ist die einzige Müllkippe von Curacao. Berendse ist die Gründerin von Green Phenix, einem lokalen Umwelt-Startup, das sich ein hehres Ziel gesetzt hat: Curacao zu entmüllen. Denn der Abfall entwickelt sich zunehmend zum Problem auf der bei Touristen beliebten Karibikinsel. Schildkröten ersticken in alten Fischernetzen; Mikroplastik landet in Fischmägen und damit in der Nahrungskette.

Jeder Bewohner produzierte in 2020 rund 1200 Kilogramm Müll

Naturschützerin Berendse kritisierte das schon lange; inzwischen sind auch die Politiker aufgewacht: Die Insel von der Größe Manhattans muss immer mehr Müll exportieren. Doch die Frachtkosten sind durch die Pandemie in die Höhe geschnellt. „Im Jahr 2020 produzierte jeder Inselbewohner im Schnitt 1200 Kilogramm Müll“, sagt Ciaretta Profas, Beraterin der Regierung in Umwelt- und Naturschutzpolitik. „Das ist dreimal so viel wie in Lateinamerika sonst üblich.“ Die Regierung prüfe gerade, wie Müll als Rohstoff für neue Wertschöpfung genutzt werden könne. „Unser Ziel ist eine Kreislaufwirtschaft.“

Während die Politiker reden, unternimmt Green Phenix Nägel etwas. Berendse steht knöcheltief in einem Schlick aus Sand, Algen, alten Tauen und Plastikflaschen am Strand von San Pedro. Der liegt an der rauen, felsigen Nordküste von Curacao. Die Küste ist karg, windumtost und Teile davon sind Naturschutzgebiet, denn sie sind Nistplatz der Meeresschildkröten. Aber gerade hier schwemmen die Strömungen besonders gerne Müll an. Plastikflaschen aus den USA, Ölflaschen mit asiatischen Schriftzeichen, Sexspielzeug, kaputte Badeschlappen, ja sogar einen Lampenschirm und einen Klodeckel entdeckt Berendse.

Jedes Mal in ein anderer Strand an der Reihe

Zweimal die Woche zieht sie mit ihrem Team los, jedes Mal ist ein anderer Strand an der Reihe. Einmal im Monat schließt sich der Kreis. Und es beginnt jedes Mal dieselbe Sisyphos-Arbeit. Nach vier Stunden unter sengender Sonne sind ein Dutzend Müllsäcke gefüllt, die auf dem Pickup von Green Phenix festgezurrt werden. Ihr Team hat ganze Arbeit geleistet. Der Müll ist bereits vorsortiert. Den nicht verwertbaren Teil bringt Berendse bei der Müllkippe vorbei. Plastikflaschen (PET), Joghurtbecher (PP), Putzmittelflaschen (PE-HD) und Aludosen kommen in die kleine Fabrik von Green Phenix. Sie liegt in einer charmanten alten Karibikvilla in einem Außenbezirk der bunten Inselhauptstadt Willemstad.

Dort steht Ansye Sebastiana und trennt das Plastik nach Material und Farbe. „Das ist jetzt meine Mission“, sagt die 57-Jährige, „Curacao sauber zu halten und die Ozeane zu retten“. Neben der Müllbekämpfung hat Green Phenix auch einen sozialen Anspruch. Der Müll soll ein Instrument werden, um denjenigen Arbeit und Selbstbewusstsein zu geben, die am Rande der Gesellschaft leben: Arbeitslose, Alleinerziehende, Behinderte. Acht Festangestellte beschäftigt Green Phenix; für die 24 Teilzeitarbeiter stammen die Gehälter aus einem Sozialhilfefonds des Staates.

Die recycelten Produkte stehen zum Verkauf

Noch reicht das nicht. Deshalb sprang die Tui Care Foundation in die Bresche, die weltweit nachhaltige Projekte in Tourismusgegenden unterstützt. In drei Jahren will Green Phenix sich selbst tragen – aus dem Verkauf der recycelten Produkte.

Vasen und Geschirr sind die Spezialität von Designer Kees Kunkeler. Der Praktikant aus Holland ist der Herr über mehrere 3-D-Drucker. Nebenan schieben Luis Guevara, 23, und sein Freund Juni Rooger, 29, geschredderte Plastikteilchen in einen Ofen und backen in Förmchen rote, blaue und gelbe Herzchen, die als Partydekoration dienen. Erwin Sprot macht aus Dosenverschlüssen Armbänder und aus Kronkorken von Bierflaschen Skulpturen. „Für mich ist es eine Herausforderung, aus dem, was andere wegwerfen, Kunst zu machen“, sagt der 64-Jährige. Für eine seiner Skulpturen bekam er sogar schon einen Preis der Unesco. Verkauft wird das alles im Laden von Green Phenix und im Souvenirshop von Irvin Bernard. Er ist Vorsitzender der Geschäftsleute von Mambo Beach, dem angesagtesten Strand der Inselhauptstadt Willemstad. Hier treffen sich Müll und Tourismus jedes Wochenende. Am Mambo Beach werden die besten Parties gefeiert, die Einheimische ebenso wie Touristen besuchen. Früh um vier, wenn die Party langsam zu Ende geht, kommt ein Team von Green Phenix und säubert die Hinterlassenschaften. Wenn um sieben Uhr die ersten Frühaufsteher die Liegen belegen, ist der weiße Sand wieder sauber. Um auch die Touristen für das Müllthema zu sensibilisieren, hat die von Bernard geleitete Vereinigung der Ladenbesitzer vor einigen Monaten Papierkörbe mit Mülltrennung aufgestellt. Interessierte Urlauber können außerdem bei ihm einen Besuch in der Fabrik von Green Phenix buchen oder bei Strandsäuberungsaktionen mitmachen.

„Die Nachfrage ist rege“, sagt Berendse. Offenbar wächst auch unter Touristen das Umweltbewusstsein. In den vergangenen zwei Jahren hat Green Phenix 50 000 Plastikflaschen und 30 000 Aludosen gesammelt. Doch Berendse will mehr: „Mein Traum wäre eine Recyclingfabrik für Glas, damit wir all die Plastikflaschen ersetzen können“, sagt sie. Und einen Wunsch an die Politiker hat sie auch: Sie sollten der Wirtschaft Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte aufbürden.

Junge Leute sind eifrige Botschafter

Doch Veränderungen brauchen Zeit, weiß die 41-Jährige. Deshalb arbeitet sie vor allem mit Kindern und Jugendlichen. Regelmäßig empfängt sie Schulklassen in der Fabrik und nimmt sie zu Säuberungsaktionen mit. Die jungen Leute sind ihre eifrigsten Botschafter. „Früher habe ich achtlos jede Flasche weggeworfen“, sagt der 23-jährige Luis, „heute sammele ich die meiner ganzen Nachbarschaft und bringe sie in die Fabrik.“ Die Fotos von den hergestellten Gegenständen postet er auf seinen sozialen Netzwerken – und erntet dafür mehr bewundernde Kommentare als für seine Fotos von den türkisblauen Stränden.

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