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Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker sagte, "dass die Bundesregierung die Geschäftsinteressen von Nestlé & Co. über den Gesundheitsschutz von Säuglingen stellt, ist ein Skandal“

© PICTURE-ALLIANCE / DPA

Behörden ließen Testergebnisse unveröffentlicht: Labore finden Mineralöl in Babynahrung

Bei Untersuchungen wurden Mineralölrückstände in mehreren Babymilch-Produkten festgestellt. Foodwatch spricht von einem Skandal.

Von Johanna Kleibl

Staatliche Labore haben Rückstände von Mineralöl in Säuglingsnahrung verschiedener Hersteller gefunden Das geht aus einer Mitteilung der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch hervor.

Die zuvor unveröffentlichten Testergebnisse zweier Labore von Januar 2020 hatte Foodwatch mithilfe des Verbraucherinformationsgesetz beantragt und auf seiner Website veröffentlicht.

Den Analysen durch zwei staatliche Labore in Münster und Stuttgart zufolge sind verschiedene Babynahrungsmittel von Nestlé, Novalac, Humana und ein Kinderdrink der Rossmann-Eigenmarke Babydream mit Mineralölen belastet.

Bei den Anfang Januar vorgenommenen Analysen des Chemischen Veterinäruntersuchungsamts Münster sind in allen 50 untersuchten Proben gesättigte Mineralöle (MOSH) und in 14 Proben aromatische Mineralöle (MOAH) festgestellt worden.

MOAH stehen nach Einschätzung der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA im Verdacht, Krebs auszulösen und das Erbgut zu schädigen. Nach Einschätzung von Foodwatch sollten MOAH „aufgrund ihrer Gefährlichkeit in Lebensmitteln auch nicht in kleinsten Spuren vorkommen“.

Foodwatch erwartet von Ministern Klöckner härteres Durchgreifen

Gesättigte Mineralöle (MOSH) reichern sich in Körpergeweben und Organen an, ihre Auswirkungen auf die Gesundheit sind noch unklar. Trotz der vermuteten Gesundheitsrisiken gibt es in der EU keine gesetzlich festgelegten Grenzwerte für MOSH und MOA.

Dem zweiten von Foodwatch veröffentlichten Testergebnis zufolge stellte das CVUA Stuttgart, das 17 Proben analysierte, in keiner einzigen davon MOAH und in 12 Proben MOSH fest. Foodwatch führt die unterschiedlichen Ergebnisse der beiden Labore auf mögliche Differenzen bei der Analytik oder Chargenunterschiede zurück.

Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker forderte am Donnerstag von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner, dass diese dafür Sorge tragen müsse, dass mineralölbelastete Babyprodukte sofort aus dem Handel geräumt werden.

Untersuchung ergab: Drei von Vier Produkten waren belastet

Bereits im Oktober 2019 hatte Foodwatch die Untersuchung von vier Babymilch-Produkten in Auftrag gegeben. Die Analyse durch mehrere unabhängige Labors ergab damals, dass drei der vier Proben mit MOAH belastet waren. Daraufhin hatte das der EU-Kommission unterstellte Europäische Schnellwarnsystem für Lebensmittel (RASFF) die zuständige Stellen der EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert, eigene Analysen der beanstandeten Produkte durchzuführen.

Auch in Deutschland erfolgten behördliche Laboruntersuchungen. Deren Ergebnis wurde allerdings nicht veröffentlicht. Aus einer Antwort des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf die Schriftliche Frage der Bundestagsabgeordneten Amira Mohamed Ali (Die Linke)  vom 10. Dezember geht hervor, dass das Ministerium Anfang Dezember Kenntnis von mineralölbelasteter Babynahrung hatte.
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Nach der Meldung innerhalb des Europäischen Schnellwarnsystems seien von Behörden in Hessen und Nordrhein-Westfalen entsprechende Proben entnommen worden. Demnanach stellten die Untersuchungen in Nordrhein-Westfalen bei 11 von 26 untersuchten Proben MOAH fest.

Die Hessischen Behörden teilten dem Ministerium mit, dass bei „Eigenkontrolluntersuchungen des Unternehmens Nestlé“ von Rückstellproben der von Foodwatch untersuchten Chargen keine MOAH nachgewiesen worden seien. Auch die amtliche Untersuchung anderer Chargen sei negativ ausgefallen.

Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker kritisiert, dass weder das Ministerium noch andere Behörden öffentlich machten, in welchen Produkten Mineralöl nachgewiesen wurde. „Dass die Bundesregierung die Geschäftsinteressen von Nestlé & Co. über den Gesundheitsschutz von Säuglingen stellt, ist ein Skandal“, so Rücker am Donnerstag.

Mineralöl stammt häufig aus Maschinen und Verpackungsmaterial

Ob sich die untersuchten Produktchargen noch im Handel befinden, ist unklar. Auch sei kein Nachweis der Hersteller bekannt, dass ihre mit Mineralöl verunreinigten Produkte mittlerweile etwa infolge von veränderten Produktionsabläufen oder Rohstoffquellen garantiert unbelastet sind, so Foodwatch.

Auf eine Anfrage des „Spiegel“ antworteten Nestlé und DMK, die Mutterfirma von Humana, die Behörden hätten keine Gesundheitsgefahr beziehungsweise kein Verbraucherrisiko gesehen. Nestlé gab gegenüber dem „Spiegel“ an, die Testergebnisse beträfen Rezepturen, die nicht mehr produziert würden, DMK schrieb, dass sie keine verunreinigten  Produkte auf den Markt brächten und jeden Hinweis auf Verunreinigung sehr ernst nähmen. Beide Unternehmen verwiesen zudem auf die komplexe Analytik von MOSH und MOAH.

Mineralöle in Lebensmittel stammen in der Regel aus Maschinen, die bei der Ernte oder Verarbeitung eingesetzt werden oder aus dem Verpackungsmaterial. Insbesondere Verpackungen aus Altpapier enthalten häufig Mineralöle aus Druckerfarben. Bei einem Labortest von 120 verschiedenen Lebensmitteln hatte Foodwatch 2015 bei 43 Prozent davon aromatische Mineralöle festgestellt.

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