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Im Lockdown. Eine Frau im am schwersten betroffenen Kapstadt schaut aus dem Fenster.

© Mike Hutchings/Reuters

Coronavirus in Südafrika: Kap der schwindenden Hoffnung

Das Coronavirus breitet sich in Südafrikas Westen rasend aus – das löst politische Spannungen aus.

Afrikas Hoffnungen, die Corona-Pandemie könne den Kontinent mit dem Schlimmsten verschonen, zerschlagen sich derzeit ausgerechnet am Kap der Guten Hoffnung.

Die südafrikanische Westkap-Provinz hat sich inzwischen zum heißesten Herd der Pandemie auf afrikanischem Boden entwickelt: Dort breitet sich das Virus in einer Geschwindigkeit wie einst in China, in Westeuropa, den USA und derzeit in Brasilien aus.

Die Beobachtung macht Spekulationen zunichte, wonach der Corona-Erreger die klimatischen Verhältnisse Afrikas nicht aushält oder genetische Merkmale die Bewohner schützen. „Wir haben noch keinen Beweis dafür gesehen, dass eine gewisse Bevölkerung verschont bliebe“, sagt die Biostatistikerin Natalie Dean von der Universität in Florida. „Die Frage der Ansteckung ist nicht ob, sondern wann.“

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Ein Vierteljahr nach der Meldung des ersten Covid-19-Falls sind in Südafrika die täglich gemeldeten Fälle inzwischen auf rund 3000 gestiegen: Zwei Drittel aller Ansteckungen werden aus der Westkap-Provinz mit ihrer Hauptstadt Kapstadt gemeldet. Dort erlagen bereits mehr als 700 Menschen der Infektionskrankheit, das sind drei Viertel aller südafrikanischen Todesopfer.

Detailanalysen zufolge verbreitet sich das Virus besonders schnell in den dicht besiedelten Slums und Townships der schwarzen Bevölkerung, wie in Kayelitsha, Gugulethu oder Langa. Während zunächst spekuliert wurde, die Provinz verzeichne nur deshalb mehr Ansteckungen, weil dort auch mehr getestet wurde, gehen Experten mittlerweile davon aus, dass die Touristenhochburg Kapstadt womöglich wesentlich früher als andere Regionen des Landes mit dem Erreger konfrontiert wurde.

Von Weißen dominiert

Dass das Westkap wesentlich mehr Corona-Fälle als der Rest des Landes vorweist, ist auch politisch brisant. Es ist die einzige südafrikanische Provinz, die nicht vom Afrikanischen Nationalkongress (ANC), sondern von der von Weißen dominierten Demokratischen Allianz (DA) regiert wird, und brüstete sich in den vergangenen Jahren zu Recht mit einer besseren Verwaltung.

Staatspräsident Cyril Ramaphosa (ANC) besuchte am Freitag den Pandemieherd und kritisierte Provinzchef Alan Winde (DA) mit den Worten: „Ich akzeptiere die Entschuldigung nicht, dass es im Westkap zu wenig Gesundheitskräfte gibt.“

Dagegen benötige die Region dringend mehr Krankenhausbetten, fügte Ramaphosa hinzu. Für zusätzliche Betten ist die Provinzregierung zuständig, während Pretoria das Gesundheitspersonal finanziert. So schieben sich beide Seiten gegenseitig die Schuld zu.

Allein im staatlichen Gesundheitsbereich steckten sich in den vergangenen Wochen 83 Ärzte und Ärztinnen sowie 727 Krankenschwestern und -pfleger im Westkap an. Die Zahl der Tests musste Ende vergangener Woche sogar verringert werden, weil nicht genug Testsätze zur Verfügung stehen.

Außerdem kommt das staatliche Labor mit der Auswertung der Tests nicht nach: Dort hat sich ein Rückstau von 28 000 Proben gebildet. Ramaphosa kündigte die baldige Ankunft neuer Testsätze an, die in Staaten wie China und Russland für den gesamten Kontinent angefordert worden seien.

Der Mangel an medizinischer Ausrüstung sorgt in zahlreichen afrikanischen Staaten für empfindliche Engpässe bei der Bekämpfung der Pandemie.

Ängstlich schaut Südafrikas Regierung auch auf die Nachbarprovinz des Westkaps: Mit über 5200 Ansteckungen und 95 Todesfällen ist das wesentlich ärmere Ostkap zur zweitschlimmsten Region des Landes geworden.

Gerichte stellen sich quer

Schon heute wird dort über den Zusammenbruch des Gesundheitswesens geklagt. Chronisch Erkrankte haben Schwierigkeiten, ihre Medikamente zu bekommen, einzelne Hospitäler mussten nach Covid-19-Fällen vorübergehend schließen, Gesundheitsarbeiter protestieren regelmäßig wegen des Mangels an Personal und an Schutzanzügen.

Unterdessen wird im ganzen Land die Kritik an den Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie immer lauter. Ein Richter des Landesgerichts in Pretoria erklärte weite Teile des Lockdown-Konzepts für „verfassungswidrig“ und „irrational“ und gab Pretoria 14 Tage Zeit zu dessen Korrektur.

Weitere Verfahren gegen das Desaster-Management-Gesetz sind derzeit vor Gericht anhängig: Unter anderem gegen das Verbot des Zigarettenverkaufs, aber auch gegen den „Corona-Krisenrat“ (NCCC), der unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne parlamentarische Kontrolle schon seit mehr als drei Monaten über die Maßnahmen des Kampfes gegen die Pandemie entscheidet.

Ungewöhnlich an der Situation Südafrikas und anderer afrikanischer Staaten ist, dass die scharfen Lockdown-Bestimmungen schon sehr früh, noch vor den ersten 100 Infektionen, verhängt wurden. Aus wirtschaftlichen Gründen müssen sie jetzt gelockert werden, während die Ansteckungsrate drastisch in die Höhe schießt.

Johannes Dieterich

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