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Vor den Häusern in Simbach türmt sich das zerstörte Mobiliar, vernichteter Hausrat.

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Nach der Flut in Simbach: Das Leben liegt auf der Straße

Unvorstellbare Wassermassen tobten durch Simbach in Bayern. Sieben Menschen starben, viele haben alles verloren. Jetzt wird aufgeräumt. Ein Besuch.

„Griaßts Euch!“, ruft der Feuerwehrmann Franz Göppinger zu der Frau und den zwei jungen Männern, die mit Gummistiefeln bekleidet vom Parkplatz kommen. Sie schieben eine Schubkarre, tragen zwei Schaufeln und einen großen Besen auf den Schultern. „Da lang“, sagt Göppinger zu der Gruppe und deutet auf einen Fußweg. Das ist eigentlich nicht nötig, denn da lang gehen an diesem Vormittag alle. Alle, die sich nützlich machen wollen nach dem verheerenden Hochwasser in Simbach am Inn. „Ich studiere in Landshut“, sagt die junge Frau, „und ich möchte spontan helfen.“

Am Mittwoch gegen 14 Uhr donnerten kaum vorstellbare Wassermassen durch einige Straßen des 10.000-Einwohner-Ortes in Niederbayern an der österreichischen Grenze – die nichts als Verwüstung hinterließen. Sieben Menschen sind in Simbach ums Leben gekommen, das ist die bittere Bilanz dieser Sturzflut,, die Michael Fahmüller (CSU), Landrat des Kreises Rottal-Inn, bekannt geben musste. Der letzte Tote war ein 72-jähriger Mann, der nach dem Hochwasser im Krankenhaus einen Herzinfarkt erlitt. Niemand wird mehr vermisst – es stellte sich heraus, dass sich ein lange gesuchtes älteres Ehepaar schon seit Mittwoch im Krankenhaus befand.

Allerdings: „Von Entspannung kann aber noch nicht die Rede sein“, sagt Simbachs Bürgermeister Klaus Schmid (CSU) am Samstagmorgen. Die Hilfe wenigstens läuft nun auf Hochtouren, es sind die Tage des Aufräumens. 450 Feuerwehrleute sind gekommen, 120 Kräfte des Technischen Hilfswerkes, 100 Polizisten und schätzungsweise 700 ehrenamtliche Helfer an diesem Tag. Die Gartenstraße, eine lang gezogene Parallelstraße zum Inn, hat es besonders schlimm erwischt. Vor den Häusern türmt sich das zerstörte Mobiliar, vernichteter Hausrat. Alles, was sich zumindest bis zum Erdgeschoss darin befand, wurde Opfer von Flut und Schlamm: Couch-Garnituren, Rattanregale, Matratzen. Ein Flügel, Bücher, Stühle. Es sind Teile des Lebens der Menschen, die auf der Gartenstraße liegen und nur noch Schrottwert haben.

Anwohner und Helfer transportieren mit einer Menschenkette Schmutzwasser aus einem Gebäude.

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Vor seinem Haus steht Walter Weinberger, ein älterer Mann. Gerade wird sein Keller ausgepumpt. „Danach müssen wir im Erdgeschoss aufräumen“, sagt er und blickt wie in Trance vor sich hin, man merkt ihm den Schock an. Wie geht es weiter? Er zuckt die Schulter. Jetzt wird nicht in Wochen oder Monaten gedacht, sondern in Stunden. „Ich wohne seit Mittwoch bei meiner Tochter, 40 Kilometer entfernt“, erzählt er. Als das Hochwasser kam, floh er aufs Dach, die Feuerwehr holte ihn mit dem Boot.

In der Trümmerlandschaft der Gartenstraße ist es laut, überall rattern die Stromaggregate der Feuerwehr, um die Keller auszupumpen. Die Menschen waten durch den Schlamm, es riecht, die Schlammoberfläche schillert farbig, denn es sind auch Reste von Heizöl in dieser Brühe. Verschlammte Autos werden von Traktoren weggezogen. Die vielen Helfer sind auf der Straße und in den Häusern, sie räumen aus, schrubben Wasser in die Gullys.

Am Straßenbeginn hat die Feuerwehr eine provisorische Zentrale errichtet. Ein großes Plan der Gartenstraße hängt da. Sorgsam wird Haus für Haus inspiziert – wie der Zustand ist, wo der Keller ausgepumpt werden muss. „Hast Du die 43?“, ruft einer. „Ja“, lautet die knappe Antwort. Seit Freitagabend muss wenigstens nicht mehr nach weiteren möglichen Toten gesucht werden.

Maximilian Winbeck, Helfer des THW Ortsverbands Landshut, rettete diese Katze aus einem überfluteten Haus.

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Und die die Betroffenen können sich schnell und nach Behördenangaben auch sehr unbürokratisch eine Soforthilfe von 1500 Euro pro Haushalt abholen. Das Rathaus in Simbach ist dafür am Sonnabend und auch den ganzen Sonntag über geöffnet. Denn im Moment haben viele Flutopfer buchstäblich nichts mehr bei sich als ihre Kleidung am Leib.

Gewitter, Starkregen, schwere Wolken, ja gar ein Jahrtausendereignis: In diesen Tagen werden die Menschen in Simbach zu Wetter-Fachmännern. Dass ein solches Hochwasser mit diesen Massen innerhalb von 15 Minuten entsteht, scheint nicht vorstellbar. Zwei Meter Höhenunterschied bei der Bebauung entscheiden über ein weiteres unbeschädigtes Leben oder über die Katastrophe. An den Hauswänden in der Gartenstraße ist dieser Unterschied zu sehen: Oberhalb des Hochwassers in zwei Metern Höhe sind sie weiterhin weiß oder gelb, wie man sie angestrichen hatte. Darunter bräunlich.

Die Helfer indes sind in diesen schwül-warmen Tagen gut gelaunt. Manche kennen sich noch vom großen Donau-Hochwasser an Pfingsten 2013, als sie als Freiwillige in Passau oder Deggendorf waren. Auf Holzwägen ziehen sie Getränke und belegte Semmeln durch die Straße zur Versorgung. Sie lachen, scherzen, spornen sich gegenseitig an. Am Wertstoffhof hat die Gemeinde Simbach ein Zentrum für die Helfer eingerichtet inklusive eines Shuttle-Transportes in die Hochwasser-Straßen. Mitarbeiter Hans Englmeier ruft ihnen immer wieder zu: „Simbach sagt danke!

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