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Panorama: Die große Angst vor dem großen Leck

Nur 150 Tonnen Öl verschmutzen Schwedens Strände. Aber mehr kann die Ostsee auch nicht vertragen. Deshalb sind die Anrainer alarmiert

Zum Unglück kam das offenkundige Versagen der Behörden. „Verfluchte Dänen!“ überschrieb die Malmöer Zeitung „Sydsvenskan“ ihren Leitartikel zur Ölpest an den schönsten Sandstränden der schwedischen Ostseeküste. Dass die dänischen Behörden die Bergung des am Samstag vor Bornholm havarierten Frachters „Fu Shan Hai“ verschliefen und so letztlich das Auslaufen von 1000 Tonnen Öl zu verantworten hatten, sagt auch die Regierung in Stockholm. Dabei sind durch schwedische, dänische und deutsche Spezialschiffe 90 Prozent des ausgelaufenen Öls wieder eingesammelt worden. „Nur“ 50 bis 100 Tonnen haben die Strände erreicht, weitere 50 Tonnen sind auf dem Weg dorthin.

Regeneration dauert 30 Jahre

Das sei nun wahrlich keine Katastrophe, schrieb „Svenska Dagbladet“. Die große Aufmerksamkeit für die von der „Fu Shan Hai“ verursachte Ölpest ist auch ein Zeichen für die Angst unter Ostsee-Anrainern vor einer „richtigen“ Katastrophe. Was, so lautet die Frage, wenn statt des chinesischen Frachters am Samstag ein Riesentanker havariert wäre? Sie hießen „Pallas", „Erika", „Baltic Carrier", „Prestige" und nun „Fu Shan Hai". Nach jeder größeren Schiffshavarie vor den europäischen Küsten schwappt eine neue Welle Forderungen nach mehr Schiffs- und Seeverkehrssicherheit durch die Parlamente und Ministerbüros. Längst sitzen noch nicht alle in einem Boot. „Aber es tut sich langsam etwas", sagt Jochen Lamp vom WWF in Stralsund. Die Ostsee vor seiner Haustür liegt ihm besonders am Herzen. Obwohl sie manche Merkmale eines Binnensees aufweist, ist sie eines der weltweit meistbefahrenen Seeverkehrswege. 65000 Schiffe passieren sie jährlich von Ost nach West und zurück, darunter Tanker mit insgesamt 40 Millionen Tonnen Öl. Wenn Russland zwei neue Ölhäfen bei St.Petersburg vollständig in Betrieb nimmt, werden es doppelt so viel sein. Für manche Beobachter ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch die deutsche Ostseeküste von Ölteppichen aus leckgeschlagenen Tankern bedroht wird. „Wenn es hier zum Crash kommt, werden wir das nicht wieder los", sagt Lamp. Die Ostsee erneuert ihr Wasser einmal in 30 Jahren. Die Nordsee braucht dafür vier. Als ein Risikoherd gelten alte und einwandige Tanker. Doch wer etwas im internationalen Seeverkehr regeln will, muss nicht nur zehn Ostsee-Anrainerstaaten unter einen Hut bekommen. Die Internationale Meeresorganisation mit Sitz in London hat 180 Mitgliedstaaten. Nach dem Untergang der „Prestige" vor der spanischen Küste im November beschloss die Europäische Kommission zumindest, über 23 Jahre alte Einhüllentanker in ihren Häfen nicht mehr zuzulassen. Jüngere Exemplare dieses Typs sollen für SchwerölTransporte spätestens bis 2010 und damit fünf Jahre früher als international vereinbart aus EU-Gewässern verbannt werden. „Doch solange Russland sich nicht anschließt, bleibt die Maßnahme für die Ostsee ein stumpfes Schwert", sagt Günther Leymann vom Umweltministerium Mecklenburg-Vorpommerns. Sein Minister Wolfgang Methling ruft nicht nur nach Doppelhüllentankern. Diese, so Methling, sollten in mehrere getrennte Tanks geteilt werden. Wenn einer leckschlägt, läuft nicht die gesamte Ladung ins Meer. Bundesumweltminister Trittin wie auch Bundesverkehrsminister Stolpe haben sich als nächstes die Lotsenpflicht für besonders sensible oder viel befahrene Gewässer auf die Fahnen geschrieben. Jochen Lamp vom WWF hofft, dass große Teile der Ostsee dazugehören werden. In der Ostsee gilt nach den Havarien der vergangenen Jahre zumindest eine Lotsen-Empfehlung für die enge Kadetrinne zwischen dem dänischen Falster und dem deutschen Darß – mehr auch nicht. Das Nadelöhr, durch das fast alle großen Schiffe hindurch müssen, ist nur etwa einen Kilometer breit. Wer hier vom Kurs abkommt, läuft schnell auf Grund.

Kleine Schritte zu mehr Sicherheit

Die von lotsenlosen Schiffen ausgehende Gefahr soll für die Küstenländer künftig besser einzuschätzen sein. In Rostock registriert zum Beispiel eine Leitstelle per Weitbereichsradar jede Schiffsbewegung. Stufenweise eingeführt wird zudem das Automatische Identifikationssystem (AIS). Alle größeren Schiffe müssen demnächst ihre Grunddaten wie Länge, Tiefgang, Kurs, Geschwindigkeit und Ladung via Satellit an die Leitzentralen melden. Im Falle einer Havarie können die Helfer dann schneller und besser vorbereitet am Unglücksort sein. An allen deutschen Küsten ist seit diesem Jahr das Havariekommando in Cuxhaven dafür verantwortlich, Einsätze zu koordinieren. Nach dem Untergang der „Pallas" vor Schleswig-Holstein im Herbst 1998 hatte der Streit über Zuständigkeiten zwischen Ländern und Bund noch schnelle Gegenmaßnahmen verzögert.

In knapp drei Wochen treffen sich die zuständigen Minister der Ostsee-Anrainerstaaten und der europäischen Atlantik-Anrainer in Bremen zur nächsten Konferenz. Wie viele Trippelschritte sie vorankommen in Sachen Meeressicherheit ist ungewiss.

Nun droht der Ostsee erst einmal eine gigantische Algenblüte. Die „Fu Shan Hai“ hatte 65000 Tonnen Düngemittel geladen.

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