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Am Schauplatz der misslungenen Festnahme: Ein ausgebrannter Bus

© Reuters/Stringer

Drogenkrieg in Mexiko: Soldaten scheitern bei Festnahme von „El Chapo junior“

Mexikanische Sicherheitskräfte nehmen den Sohn des in den USA inhaftierten Drogenbosses fest. Nach Gefechten lassen sie „El Ratón“ wieder laufen.

Brennende Lastwagen, Scharfschützen verschanzt hinter Laternenmasten, gepanzerte Pickups voller schwer bewaffneter Menschen, die panikartig Schutz suchen – das waren die Bilder aus Culiacán, der Drogenhochburg im Norden Mexikos am Donnerstag. Am späten Nachmittag trudelten bruchstückhafte Informationen über Informanten, Amateurfunker und lokale Blogger ein. „Um 15.30 Uhr gab es vier Schießereien an unterschiedlichen Orten der Stadt“, berichtete der Fotograf Cesar Ernesto.

Daraufhin sei Panik ausgebrochen. Über WhatsApp-Kettennachrichten hieß es, hunderte von Killern seien aus den umliegenden Gemeinden auf dem Weg nach Culiacán. Der Regionalgouverneur forderte die Bevölkerung auf, sich zu verschanzen und die Ruhe zu bewahren. Ein Fußballspiel wurde abgesagt, Flüge eingestellt, Schulen und Geschäfte geschlossen, der öffentliche Nahverkehr eingestellt.

Hinter der Eskalation steckte die Verhaftung von Ovidio Guzmán López, Sohn des in den USA inhaftierten Drogenbosses Joaquín „El Chapo“ Guzmán. Bei einer Routine-Verkehrskontrolle sei die Nationalgarde beschossen worden, teilte Sicherheitsminister Alfonso Durazo mit. Die Gardisten hätten das Feuer erwidert; bei der Operation sei Guzmán Lopez festgenommen worden.

Die Aktionen der Sicherheitskräfte würden nun aber eingestellt. Experten bezweifelten diese Version des Hergangs als unglaubwürdig; Amateurvideos zufolge handelte es sich um eine gezielte Operation der Sicherheitskräfte – die Bilder zeigen, wie bewaffnete Soldaten ein Haus im wohlhabenden Stadtteil Tres Rios umzingeln.

Lokalen Medien zufolge versuchten Killer des Sinaloa-Drogenkartells daraufhin, Guzmán López zu befreien. Zentrum ihrer Attacken war das Gebäude in Tres Rios in der Nähe der Staatsanwaltschaft. Auch aus anderen Stadtteilen wurden Straßenblockaden und Schusswechsel vermeldet – offenbar um die Bevölkerung einzuschüchtern, einen möglichen Abtransport Guzmáns zu verhindern und die Sicherheitskräfte abzulenken und zu zerstreuen. Wie viele Menschenleben die Schießereien kosteten, wurde zunächst nicht bekannt.

Szenen wie im Krieg: Sicherheitskräfte und Kartellmitglieder lieferten sich Gefechte.
Szenen wie im Krieg: Sicherheitskräfte und Kartellmitglieder lieferten sich Gefechte.

© Jesus Bustamante/REUTERS

Freilassung bestätigt

Der regionale Sicherheitsminister Cristóbal Castañeda sprach von „mehreren Toten“. Außerdem habe es einen Massenausbruch aus dem Gefängnis gegeben. Am späten Abend vermeldeten mexikanische Medien, Guzmán sei freigelassen worden, um die Situation zu entschärfen. In seiner morgendlichen Pressekonferenz gestand der Präsident ein, die Freilassung Guzmáns angeordnet zu haben, um das Leben unschuldiger Mitbürger zu schützen. „Wir werden nicht Öl ins Feuer gießen und Gewalt mit Gegengewalt beantworten. Das unterscheidet unsere Strategie von der unserer Vorgänger.“ Guzmáns Anwalt bestätigte die Freilassung in einem Telefoninterview mit dem TV-Sender Milenio. Guzmán sei wohlauf und auf freiem Fuß. Seine Familie habe ihn mehrere Stunden lang vermisst, nun habe er sich aber gemeldet. Vermutlich habe es sich um eine Verwechslung vonseiten der Behörden gehandelt, sagte der Rechtsanwalt José Luis González Meza.

Dem Journalisten Ciro Gomez zufolge hatten die Killer einflussreiche Geschäftsleute in Culiacán in ihre Gewalt gebracht, um die Regierung zu erpressen. Darauf deutete ein Tweet des Vorsitzenden des mexikanischen Unternehmerverbandes hin. Der bislang regierungskritische Verbandschef sprach per Twitter der Regierung seine volle Unterstützung im Kampf gegen die Gewaltkriminalität aus. Eine offizielle Erklärung für die konfusen Zustände gab es zunächst nicht.

Konflikte innerhalb des Kartells

Guzmán López alias „El Ratón“ (die Maus) ist einer von 13 Kindern des ehemaligen Kartellchefs, der in den USA zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde. Das Sinaloa-Kartell ist seither in die Defensive geraten und steht unter Druck des verfeindeten Kartells Jalisco Nueva Generación (CJNG).

Auch innerhalb des Kartells soll es Konflikte geben. Es sei strategisch völlig unverständlich, warum die Regierung in ein Wespennest steche und ein ohnehin geschwächtes Kartell angreife, statt sich auf die größere Gefahr durch das CJNG zu konzentrieren, gab der Sicherheitsexperte Eduardo Guerrero zu bedenken.

Seit Wochenbeginn kam es zu mehreren Zusammenstößen mit 29 Toten. Die Gewaltspirale erhöht den Druck auf Präsident Andrés Manuel Lopez Obrador. Der Politologe Federico Berrueto sprach von einem „Debakel und einer Kapitulation“ des Staates vor dem organisierten Verbrechen. Die Drogenexpertin Liza Sánchez kritisierte die „gefährliche Improvisation“.

Der Staatschef verzichtete bislang auf eine direkte Konfrontation mit den Kartellen und setzte auf Prävention und Abschreckung. Die Gewalt schaukelte sich jedoch weiter hoch. In den vergangenen sechs Monaten starben 16 000 Menschen im Drogenkrieg.

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