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Alles im Blick. Auf der Dachterrasse des „Wombats“ stimmen sich die Gäste auf die Nacht ein.

© David von Becker

Easy-Jetsetter: Die Hostel-Hopper

Die Etagenbetten der Stadt sind voll mit Easy-Jetsettern in Partylaune. Was sind das für Leute und was treibt sie nach Berlin? Unser Autor hat sich eine Nacht lang umgehört.

Andy und Luke wollen feiern. Die beiden Australier sitzen auf der Dachterrasse des Wombats, dem Hostel, in dem sie heute Nacht schlafen werden, oder zumindest ihre Sachen untergebracht haben. Denn schlafen wollen sie eigentlich nicht. Sie wollen ja feiern, hier in Berlin. Es ist kurz nach sieben. Der Tag versinkt hinter dem Fernsehturm, der die Abendsonne wie eine gigantische Diskokugel reflektiert. Von unten brandet die Torstraße an das Hostel. Alles ist erleuchtet.

Andy zündet sich eine Zigarette an, inhaliert so tief, als wollte er die Stadt einatmen und stößt den Rauch in die Berliner Abendluft. „Awesome“, sagt er. Und meint Berlin. Andy erwartet viel. Er will eine dieser Nächte in der Welthauptstadt des Techno erleben, die in den Internetforen und Reiseführern als magisch beschrieben werden. Angefüllt mit Musik, die den Körper mitreißt, den Gehörgang spült. Dafür sind er und seine Freunde hierher- gekommen, nachdem ihre bisherige Reise durch Europa musikalisch eher einer Endlosschleife der Bravo-Charts glich. Rom, München, Prag. David Guetta und die Black Eyed Peas.

Andy verdreht die Augen. Der 20-Jährige ist ein Techno-Jünger, die bunten Bändchen der Festivals hängen wie Auszeichnungen an seinem Handgelenk. Andy trägt seine rotblonden Haare an den Seiten kurz und oben etwas länger, Röhrenjeans, zerschlissenes T-Shirt. Ein Hipster mit einer stecknadelkopfgroßen Kugel in der Unterlippe. Luke sieht jünger aus. Er wird es schwer haben an der Tür vom Watergate, dem Club an der Oberbaumbrücke, vor dem sich jeden Samstag eine Schlange aus Touristen bildet. Dort wollen die Australier heute hin. „Oder ins Berghain“, sagt Andy und spricht den Namen mit einer Ehrfurcht aus, mit der seine Eltern bei einem Besuch Berlins früher vielleicht vom Reichstag gesprochen hätten, oder von der Mauer. Sein Kopf nickt zu einem unhörbaren Beat.

Am Nebentisch teilt eine kleine Gruppe Erlebnisse aus. Fotos in Facebook-Alben werden verglichen. Ein Dia-Vortrag mit dem Netbook. Es sind Kanadier, Amerikaner und, natürlich, Australier. Städtenamen fliegen durch die Luft, als würden sie Quartett spielen. München? Hab ich. Rom? Auch. Aber die hat hier jeder. Sie alle arbeiten sich durch Europa, von Süd nach Nord, von West nach Ost. Mit dem iPhone als Kompass.

Mehr als 300 Gäste haben an diesem Samstag im Wombats eingecheckt. Das Stimmengewirr ist Weltmusik. In der Küche kochen Franzosen und Spanier. Lachen gemeinsam. Rotwein und Esperanto. In der Lobby knien ein paar Südamerikaner vor einem Stadtplan, zeichnen die nächsten Etappen ein. Suchen Kunstmärkte und Galerien, während sich neben ihnen Koreaner an ihre Laptops anschließen, um mit der Heimat zu skypen.

Die meisten von ihnen sind auf der Durchreise, vergnügungssüchtige Partyhopper, spätpubertäre Aussteiger ohne bestimmtes Ziel und College-Absolventen mit dem „Lonely Planet Europa“ im Backpack. Sie reisen mit Interrailtickets oder Billigflügen. Ein neuer Easy-Jetset, der mit wenig Geld viel Europa erleben will. Immer auf dem Sprung, weil jede neue Stadt ein neues Versprechen ist. Und auch ein Sehnsuchtsort wie Berlin in der Sehnsucht nach immer neuen Bildern schnell ermattet.

Ihre Wege kreuzen sich dabei immer wieder in Hostels wie dem Wombats in Mitte, an diesen Orten, an denen fremde Menschen für ein paar Stunden wenige Quadratmeter teilen. Hostels sind, wie Flughäfen oder McDonald's-Filialen, neutraler Boden und funktionieren, egal wo auf der Welt man sich befindet, nach denselben Regeln. Auch das Wombats ist eine Insel. Mitten in Berlin. Es scheint in internationalen Gewässern zu liegen, ein Ort ohne Nationalität oder Eigenschaften. Mit Englisch als Amtssprache.

Nur die Flyer an der Rezeption verraten, dass da draußen tatsächlich Berlin wartet. Neben den Pubcrawl- und Sightseeing-Prospekten wird ein Besuch Sachsenhausens beworben. Aber auch das ist ja, irgendwie, Berlin. Dominiert wird der Raum von einem international verträglichen Grün, nicht Türkis, aber auch nicht Frosch, es ist der Grundton aller Hostels, um das Auge vor einem Kulturschock zu bewahren, weil dadurch alles seltsam vertraut wirkt, ein bewusst arrangiertes Déjà-vu gegen mögliches Heimweh.

Andy und Luke wohnen mit ihren Freunden in einem der Sechsbettzimmer, in denen es nach Schweiß und Restalkohol riecht und immer einer schläft. Noch, oder schon wieder. Der Rausch schnarcht. Sechs Jungs auf engstem Raum. Die Regeln für die Nacht sind klar. „Wer als Erster punktet, bekommt das Zimmer“, sagt Luke. Und meint: Wem die Bässe und der Alkohol das erste Mädchen in die Arme treiben, der gewinnt. So einfach ist das. Er grinst. Die anderen müssen dann sehen, wo sie schlafen. Spaß haben, muss gut organisiert sein.

Hinter den Fenstern legt die Stadt ihr Abendkleid an, macht sich ausgehfein. Luke sagt: „I love Berlin.“ Er hat bereits fünf Bier gehabt, oder mehr. Keine Ahnung. Schulterzucken. Er hat den Überblick ertränkt. Aber dafür liebt er Berlin. Awesome und so. Und bestellt noch eine Runde an der Bar, wo gerade zwei Amerikaner versuchen, mit 50-Cent-Stücken einen an der Wand angebrachten Pitcher zu treffen, um freie Shots zu gewinnen.

Auf den Tischen stehen leere Strongbowflaschen, der Aschenbecher ist voll. Die Bilder gleichen sich. Gesichter glühen, Blicke verfehlen Blicke. Andy und Luke trinken auf ex, verlassen die Bar.

Wenig später, es ist dunkel jetzt, stolpern sie mit den anderen hinaus in die Nacht, müssen noch kurz Geld am Automaten ziehen, Zigaretten holen, dann fahren sie nach Kreuzberg. „Techno“, schreit Andy noch, bevor sie von der Stadt verschluckt werden.

Am nächsten Morgen beim Frühstück ist keiner von ihnen zu sehen. Das Zimmer ist leer, ein paar Flaschen liegen noch dort, Socken und Deo. Wenn sie sich nicht in der Nacht verloren haben, sitzen Luke und Andy bereits im Zug nach Krakau. Dort kann man gut feiern, haben sie gehört. Und das Bier ist billig.

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