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Panorama: Ein Bärendienst

Der Grizzly ist gefährdet. Für seinen Schutz streiten Forscher, aber auch Sonderlinge – oft gegeneinander

Auf viele wirkt er wie ein Sonderling. Was treibt einen Mann, der in Princeton studiert hat und dem einträgliche Jobs offen stünden, dazu, sich in eine einsame Bergwelt zurückzuziehen und auf den Komfort der modernen Welt zu verzichten? Larry Campbell hatte Mitte 30 genug von der so genannten Zivilisation. „Immer mehr Wirtschaftswachstum und industrielle Lebensmittelproduktion, das kann auf die Dauer nicht gut gehen.“ Nach ein paar Jahren in Indien hat er seine Schwester in Montana besucht und auf der Reise durch die menschenleere Gegend „gespürt, dass hier mein Platz auf mich wartet“. Anderthalb Jahrzehnte ist es her, dass er die 30 Hektar ehemaliges Farmland am Rande des Bitterroot-Naturschutzgebietes kaufte. Den ersten Winter hat er in einem Wetterschutz aus Holzstämmen und Heuballen überstanden, dann folgte eine einfache Blockhütte. Inzwischen ist er Mitte 50, zieht sein eigenes Obst und Gemüse und lebt zurückgezogen in einem selbst gezimmerten Holzhaus oben am Berg: Geheizt wird mit Holz, das Wasser muss er aus der Quelle holen, Sonnenkollektoren liefern Strom.

Vielleicht sollte man ihn einen Öko-Trapper nennen. Wie die sagenumwobenen Figuren des Wilden Westens durchstreift er die Wildnis. Aber nicht um zu jagen, sondern um Natur und Tierwelt zu retten. Seit Jahren führt er einen Kampf gegen jeden, der die wirtschaftliche Nutzung ausdehnen will. Wenn er einen Spleen hat, dann ist es seine Hoffnung, oben in den Gipfelregionen des Bitterroot den Beweis zu finden, dass es dort noch Grizzly-Bären gibt – gegen die Überzeugung der führenden Forscher. Wenn ihm das gelänge, das wäre der ultimative Trumpf gegen alle Begehrlichkeiten der Wirtschaft. Denn dann griffen all die Schutzvorschriften für bedrohte Tierarten: kein Wegebau, kein Holzfällen, kein Snowmobil-Sport – nichts, was den Lebensraum eines Grizzly bedroht. Nur, wie findet man einen Graubären, der den Menschen scheut, in einem Gebiet von der Größe Bayerns?

So groß ist die „roadless wilderness“ im Grenzgebiet von Montana und Idaho, die Wildnis ohne jeden künstlich angelegten Weg. Wer mit Larry durch die Wälder streift, dem öffnet er die Augen. Die abgerissene Rinde: Da hat ein Elch sein Geweih gerieben. Dort drüben, das ist Kot von Kojoten. Und hier die scharfen Risse in der abgestorbenen Ponderosa-Kiefer, die hat eine Bärentatze hinterlassen. „Nein, kein Grizzly“, lacht Larry. „Nach hier unten“ – wir sind auf 1200 Meter Höhe – „kommen höchsten Braun- oder Schwarzbären.“ Einer von denen stand eines Wintertages 1993 vor Larrys Hütte. Minutenlang haben sich Tier und Mensch, nur durch das Fensterglas getrennt, neugierig betrachtet. Larry zeigt das Foto gerne. Der unbestrittene König der Wildnis ist, wenn überhaupt, nahe den 2500 bis 3000 Meter hohen Gipfeln zu finden – und wer sich dorthin aufmacht, muss mindestens eine Woche mit schwerem Expeditionsgepäck einkalkulieren. Letzten Winter hat sich Larry ein Sportflugzeug gemietet und aus der Vogelperspektive Spuren im Schnee entdeckt, die – vielleicht – den Eingang zu einer Bärenhöhle markieren. Ganz genau hatte er sich die Koordinaten in die Karte eingetragen. Aber als er nach der Schneeschmelze hinaufwanderte, blieb die Suche am Boden erfolglos.

Nun ja, das war immer noch besser zu ertragen als der Spott einige Jahre zuvor: Da hatte er Grizzlyhaar, wie er meinte, aus einer Höhle mitgebracht und zur DNA-Untersuchung gegeben. Ein mitleidiges Lächeln begleitete das Laborergebnis. Grizzlys im Bitterroot-Gebiet? Christopher Servheen winkt mit der Hand ab. „Die hätten wir mit unseren Überwachungskameras längst gefunden“, sagt der Leiter des staatlichen Grizzly-Rettungsprogramms und Dozent an der Universität Missoula. Er zieht einen mehrere hundert Seiten dicken Wälzer, gedruckt im Jahr 2000, aus dem Regal. Darin steht, wie aus Larry Campbells Gegenwartsspleen eine sehr realistische Zukunftsvision werden kann. Über Jahre hat er einen Plan für die Wiederansiedlung von 25 Grizzlys im Bitterroot ausgearbeitet, je fünf über fünf Jahre. Seine Behörde, der US Fish and Wildlife Service, hatte den Antrag auch fast durch, da kam der Regierungswechsel. „Unter der Bush-Administration haben wir keine Chance“, sagt der schlanke grauhaarige 55-Jährige mit dem gepflegten Schnurrbart. „Die sind nicht gegen Tierschutz, es ist mehr Ignoranz. Für sie hat Wirtschaftswachstum oberste Priorität. Der Grizzly taucht auf ihrem Radarschirm nicht auf.“

250 Kilometer weiter, im Yellowstone-Nationalpark, haben Servheen und Kollegen gezeigt, wie es gehen kann. Selbst dort, wo im Prinzip Naturschutz herrscht, war die Grizzly-Population Ende der 70er Jahre auf 200 Exemplare gesunken – die Langzeitfolge von Jagd, Giftködern der Farmer, die um ihre Ranchtiere fürchteten und Raubbau in der weiteren Umgebung des Parks. Heute leben dort wieder mehr als 650 Graubären – weshalb Servheen den Antrag gestellt hat, den Grizzly im Yellowstone von der Liste bedrohter Tierarten zu nehmen. Listig hat er das an Bedingungen geknüpft, die den Grizzly-Schutz verbessern, und sich von Bund und angrenzenden Einzelstaaten schriftliche Zusagen geben lassen: Der Lebensraum bleibt geschützt, seine Mittel wachsen sogar von 2,3 auf 3,4 Millionen pro Jahr. Und er könnte seine Energien darauf konzentrieren, den Yellowstone-Erfolg im nächsten Gebiet zu wiederholen: in der Cabinet-Yaak-Region im angrenzenden Idaho oder im North-Cascade-Ökosystem im Bundesstaat Washington.

Dennoch hat das Vorhaben einen Entrüstungssturm ausgelöst und viele Naturschützer gegen ihn aufgebracht. Vorbei ist es mit der Einigkeit gegen den gemeinsamen Gegner. Charles Jonkel zum Beispiel, Präsident der Great Bear Foundation, findet, es sei „die falsche Zeit, um Optimismus zu zeigen“. Christopher Servheen seufzt, wenn er die Bedenken hört. Er seufzt in dem Tonfall eines Wissenschaftlers, der sich im Besitz der besseren Argumente glaubt, sie oft genug genannt hat und allmählich vermutet, dass bei manchen Bärenschützern andere Motive eine Rolle spielen. „Grizzlys wecken große Gefühle. Es gibt kaum ein wirksameres Symbol für Spendensammlungen.“ Gut möglich, dass Menschen, mit denen er jahrelang gemeinsam gekämpft hat, gegen ihn vor Gericht ziehen. Für Servheen wäre das ein Bärendienst – am Grizzly.

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