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Wie ein abgeriebenes Stück Seife. Die Form der „Lilienthal“ von Jörg Riechers lässt das Boot über die Wellen gleiten wie einen Flitzestein.

© Breschi/Mini Transat La Boulangère

Einhand-Segelregatta Mini-Transat: "So einsam wie nie" zum zweiten Rang

Auf einer 6,50-Meter-Nussschale quer über den Atlantik: Der Hamburger Jörg Riechers muss sich bei der legendären Einhand-Regatta Mini-Transat nur Frankreichs Superstar Ian Lipinski beugen.

Er hat bereits etliche Segelrennen hinter sich, einige hat Jörg Riechers sogar als Sieger beendet. Doch noch nie ist dem 49-jährigen Hamburger ein Erfolg wie dieser gelungen: In der Nacht zu Mittwoch kam er beim legendären Mini-Transat als Zweiter ins Ziel. Er musste sich nur Ian Lipinski geschlagen geben, dem 37-jährigen Superstar aus Frankreich, der das auf nur 6,50 Meter langen Nussschalen ausgetragene Rennen quer über den Atlantik nun zum zweiten Mal hintereinander gewann und die Szene der hochseetauglichen Mini-Racer dominiert. Seit 2015 ist er bei keinem der Rennen, bei denen er antrat, einzuholen gewesen.

Für den Deutschen ist der Podiumsplatz angesichts dieser Konkurrenz „wie ein Traum“. Dreizehneinhalb Tage brauchte Riechers von Las Palmas nach Martinique, wo er zwölf Stunden nach Lipinskis triumphaler Zieldurchfahrt eintraf, mit einem Vorsprung von zwölf Stunden auf den Drittplatzierten.

Nachdem er sich für dieses Rennen, bei dem er schon einmal 2011 einen respektablen 5. Platz erreichte, eine extravagante Neukonstruktion hatte anfertigen lassen, hat die gehalten, was Experten sich von ihr versprachen. Wobei der bullige Wulstbug und der nach allen Seiten abgerundete Rumpf durchaus gewöhnungsbedürftig sind, setzen sie doch die alte Regel außer Kraft, nach der ein schnelles Schiff immer auch ,schön‘ aussieht. Die „Lilienthal“ erinnert an ein ungleichmäßig abgeriebenes Stück Seife.

Triumphator. Ian Lipinski bei seiner Ankunft in Le Marin. Der Segler aus der Bretagne gewann das Mini-Transat diesmal in der Proto-Klasse, nachdem er im Vorjahr bereits in der Serienklasse gewonnen hatte. Das hat vor ihm noch niemand geschafft.

© Breschi/Mini Transat La Boulangère

Riechers ist einer von vier deutschen Startern in dem etwa 80 Teilnehmer zählenden Feld. Wie alle Solo-Regatten wird auch das Mini-Transat von der französischen Segelszene beherrscht, die es als Krabbelstube für die großen Weltumsegelungen nutzt. Vor allem technisch werden hier immer wieder radikale Wege beschritten, um die kleinen Boote zu kraftvollen Hochseeflitzern aufzumotzen. Doch das Mini-Transat wird in zwei Kategorien ausgetragen: den einheitlichen Serienjachten für die schmalen Budgets und den Prototypen, die von unterschiedlichen Designern entworfen werden und so ziemlich jeden Trick vorwegnehmen, der Jahre später im Serienschiffbau wieder auftaucht.

Doch all der Erfindungsreichtum hat dem Charakter des Abenteuers nichts anhaben können, das es noch immer bedeutete, sich in absurd winzigen Booten auf den Atlantik hinauszuwagen. Im Gegenteil. Gestartet wurde das Rennen zum ersten Mal 1977, einer Phase des Hochseesegelns, da die Budgets explodierten und viel Geld in die Entwicklung schneller Offshore-Racer floss. Einige von denen, die damals meinten, Klein sei das neue Groß, und mit Miniaturversionen in See stachen, waren Bruno Peyron und Jean Luc Van Den Heede, sie sollten später Segelgeschichte schreiben. Dieses Rennen hat sie vorbereitet.

Kein Kontakt zur Außenwelt. Während es bei Einhandrennen üblich geworden ist, das Satellitenverbindungen den Austausch mit der Welt ermöglichen, sind die Segler des Mini-Transat auf sich gestellt.

© Fotos: Breschi/Mini Transat La Boulangère

Oft kommt es auf der 4400 Seemeilen langen Strecke zu Bruch und Kenterungen. Aber die größte Herausforderung ist die totale Abgeschiedenheit. Denn die Skipper sind ohne Satellitenverbindung unterwegs. „Es gibt keine Möglichkeit, sich Wetterinformation zu laden“, beschreibt es ein ehemaliger Teilnehmer. „Es gibt keine Möglichkeit, Rat für eine notwendig gewordene Wartung oder Reparatur einzuholen. Es gibt keine Chance, sich bei einer vertrauten Person moralische Unterstützung zu holen oder gar zu erfragen, wo und wie die Konkurrenten segeln. Einmal auf See, sind die Segler auf sich gestellt – ohne Möglichkeit, diesen Zustand zu ändern, denn es gibt noch nicht einmal Satellitentelefon.“

Wobei das Mini-Transat in einer ersten Etappe von Frankreich zu den Kanaren führt und in einer zweiten nach Martinique. Riechers schaffte es im ersten Abschnitt auf einen siebten Rang. Was ihn enttäuschte. Allerdings hatte er sein werftneues Boot auch erst im Frühjahr erstmals testen können. Bei dem Sprung über den Atlantik wählte Riechers eine südliche Route in die Passatwindzone, was ihn vom Hauptfeld isolierte. Er habe sich "bei keinem Rennen je so einsam gefühlt", sagte er nach der Zielankunft. Sein Funkgerät an Bord blieb die ganze Zeit über still, so weit hatte er sich von den anderen entfernt.

Doch die Strategie des Routiniers ging auf. Während Lipinski sich bald absetzte, am dichtesten gefolgt von seinem Landsmann Simon Koster, zog Riechers so lange seine gleichmäßige Zickzackbahn, bis er sich schließlich vor Koster wieder einfädelte in die Reihe der aufs Ziel in Le Marin zustrebenden Boote.

Erschöpft und glücklich: Die beiden Kontrahenten Jörg Riechers (links) und Gesamtsieger Ian Lipinski am Ziel auf Martinique.

© Breschi/Mini Transat La Boulangère

Wie viel Kraft ihn die schlaflosen, einsamen Tage auf See gekostet haben, zeigen die eingefallenen Wangen und müden Augen. „Rodeo für Fortgeschrittene“ wird das Ozeanrennen in winzigen Hightech-Schüsseln genannt. Für Riechers als einem der Ältesten im Seglerfeld ist es mit besonderen Anstrengungen verbunden. Doch könnte der Erfolg ihm nun endlich den Weg bahnen zu den großen Rennen, deren Teilnahme er seit Langem anstrebt. Auch er will in die Königsklasse einsteigen und beim Vendée Globe 2020 starten. Schon einmal war er nahe dran, erwarb eine passende 18-Meter-Jacht und nahm 2014 am Barcelona World Race teil. Doch seine vom „Mare“-Verlag unterstützte Kampagne ging in den finanziellen Turbulenzen unter, in die das Medienhaus geriet.

Danach hat der Unermüdliche wieder klein angefangen. Boris Herrmann ist ihm in dieser Hinsicht ein paar Schritte voraus. Der 36-jährige Oldenburger bereitet sich derzeit intensiv und mit Unterstützung des Casiraghi-Sohnes Pierre auf das Vendée Globe vor. Mit offenbar potenten Geldgebern im Rücken will er seine über Jahre bei diversen Rekordjagden gewonnenen Erfahrungen als Navigator nun bei dem Einhand-Klassiker ausspielen. Er wäre der erste deutsche Teilnehmer. Schon vor Jahren auf dieses Ziel fixiert, meinte Herrmann, dass er nur mitmachen würde, wenn er das Rennen auch gewinnen könne. Derzeit hetzt er ebenfalls über den Atlantik. Seine „Malizia“ gilt als eines der schnellsten Boote der Open-60-Flotte.

Die "Malizia" (im Vordergrund) von Boris Herrmann und seinem Kompagnon Thomas Ruyant beim Start des Transat Jacques Vabre in Le Havre.

© AFP/Damien Meyer

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