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Jo Groebel: "Es war gut, das Interview jetzt zu machen"

Medienexperte Jo Groebel über Natascha Kampusch bei RTL, die Würde von Kidnapping-Opfern in den Medien und den Jahresrückblick von Günther Jauch.

Bis zu neun Millionen Zuschauer haben das erste Fernsehinterview mit dem Entführungsopfer Natascha Kampusch bei RTL gesehen. Eine sehr gute Quote, aber RTL soll dafür 250.000 Euro bezahlt haben. Kritiker sagen, das sei eine Form des Scheckbuchjournalismus.

Das ist auf jeden Fall zu hart. Scheckbuchjournalismus wird vor allem dann problematisch, wenn zwischen dem Fließen einer Summe und der Darstellung einer Information ein direkter Zusammenhang besteht, bis hin zur Manipulation. Das kann ich im Falle von Frau Kampusch nicht sehen, vor allem dann, wenn ihr das Geld wie versprochen nutzt. Ob RTL nun 250.000 oder 500.000 Euro gezahlt hat, das muss man jetzt nicht problematisieren.

Die oft gescholtenen Medien, das Privatfernsehen gar, als Helfer?

Absolut ja. RTL hat natürlich seine Programmfarbe. Die trägt dazu bei, ein bestimmtes Publikum zu erreichen, ein Massenpublikum. Aber damit habe ich nicht die geringsten Probleme, wenn das in einer die Menschenwürde wahrenden Form geschieht.

"Natascha - das Interview", die ständigen Trailer, ein Magazin mit Birgit Schrowange, die Nachbereitung mit Günther Jauch, Vater Kampusch und noch einem Experten in "stern tv". Wie fanden Sie diese RTL-Inszenierung?

Das Gespräch selber mit dem Studiosetting, der Kameraführung, dem ORF-Journalisten Christoph Feurstein, dem Publikum und Psychologen drumherum war eine ruhige, transparente Geschichte. Das war außerordentlich gelungen. Nichts von Voyeurismus oder Exhibitionismus, nichts zum Aufgeilen.

Aber "stern tv" hinterher zog das Thema schon ziemlich in die Länge, brachte sogar noch eine andere Geschichte zwischendrin.

Naja, die Nachbereitung hat zumindest nicht weh getan. Das mit der im Zweifelsfalle drögen Expertenbefragung und den endlos wiederholten Trailer-Clips hat ja immer einen hochgradig rituellen Charakter. Das zieht auch vom eigentlichen Ereignis weg.

Und das wäre?

Man sah Natascha. Das war das Interessante. Das ganze Drumherum war mir dann schon ein Tick zu viel kritisiert. Die Ruhe, die das Gespräch ausstrahlte, hätte auch von Günther Jauch bei "stern tv" fort- und weitergegeführt werden können.

Vor ein paar Monaten wurde über den Umgang der Medien mit Susanne Osthoff, einem anderen Kidnapping-Opfer, heftig diskutiert. Lässt sich das Natascha-Interview mit der Befragung von Susanne Osthoff bei Beckmann und Kerner vergleichen?

Allerdings. Das ist nicht mal so sehr die Tatsache, dass hier zwei Menschen gekidnappt worden sind. Viel interessanter ist die Frage, dass wir es mit zwei Menschen zu tun haben, die in ihrem Wesen nicht in diese geschmeidige, professionelle Medienszene hineinpassen. Jeder Krawalltyp in einem Nachmittags-Gerichtstalk hat eine intensivere Mediensozialisation erfahren als Natascha Kampusch und Susanne Osthoff. Wir hatten und haben es hier mit zwei nicht-medienkompatiblen Menschen zu tun.

Aber Natascha Kampusch hat in ihrer Zelle Jahre lang viel Fernsehen mitbekommen.

Sicher, die Medien waren da ihr Tor zur Welt, ihr Tor zur Sprache. Erstaunlicherweise war Frau Kampusch letztendlich damit in ihrer Eloquenz viel überzeugender als Susanne Osthoff. Die verbreitete im Fernsehen eine größere Unsicherheit, auch bei den Interviewern.

Vielleicht lag das auch an Kampuschs Befrager, Christoph Feurstein.

Ein guter Moderator sollte nicht nur textlich, sondern auch non-verbal, atmosphärisch, ein Spiegel der befragten Person sein. Durch eine völlige Rücknahme und Akzeptanz hat das bei dem ORF-Journalisten sehr gut geklappt. Natürlich muss man wissen, das es im Vorfeld des Natascha-Interviews Absprachen gegeben hat. Da wurde ja auch viel kritisiert. In letzter Konsequenz ist hier aber ein so außergewöhnlicher Fall eingetreten, der mit gar keiner Norm zu fassen ist, weder menschlich noch medial. Deshalb ist es erstaunlich genug, dass es gelang, Natascha Kampusch via Interview eine gewisse Form der Würde, sagen wir, zurück zu geben.

Aber eine Birgit Schrowange hätte man nicht so gerne auf die18-Jährige losgelassen.

Schon eher Günther Jauch. Aber dann wäre auch eine "Jauch-Show" daraus geworden, bei einem so hoch profilierten Moderator. Ein schlechter Effekt. Am Ende des Jahres wird Frau Kampusch sicher in seiner Jahresrückblicksendung auftauchen, wenn sie sich ein bisschen ins Leben reingefunden hat.

Kampuschs Berater hoffen, dass mit diesem Interview ein Ende des Medienrummels absehbar ist. Geht die Rechnung auf?

Mit Verlaub, es gibt Ereignisse wie zum Beispiel der Tsunami, die ungleich größer sind als das Einzelschicksal Natascha Kampusch. Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern, der eine größere Medienlaufzeit hatte als maximal ein paar Wochen. Das Thema Natascha als solches ist in wenigen Wochen aus den Schlagzeilen. Dies ist kein Fall, wo Frau Kampusch für alle Zeiten befürchten muss, am Pranger zu stehen oder ständig angeredet zu werden. Wie schon gesagt, deswegen war es viel besser, das Interview in der Form jetzt zu machen. Das Resultat gibt den Entscheidenden recht. Wir leben halt in einer Mediengesellschaft. Es wird noch mal einen Schub geben, wenn es neue, weitere Details oder Spekulationen gibt, zum Beispiel zur Frage, was im Keller dieses Hauses, was in Nataschas Verlies alles passiert ist.

Professor Jo Groebel ist Autor und Direktor des Deutschen Digital Institut Berlin.

Das Gespräch führte Markus Ehrenberg ()

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