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Nicht erschrecken. Masken gehören zu Halloween wie der Kürbis und der Klingelstreich. Rund 200 Millionen Euro geben die Deutschen für das Fest aus.

© dpa

Halloween: Gruselige Geschichte

Erst feierten US-Soldaten auf der Burg Frankenstein, heute ist ganz Deutschland im Halloween-Fieber. Woher kommt die Lust auf Horror und Grauen?

Es gibt kein Entrinnen: Vampire, riesige Spinnweben, Zombie-Apokalypse in der Fußgängerzone – es ist wieder so weit. An Halloween scheiden sich die Geister vor allem in Deutschland, dem Land der Reformation. Doch der keltisch inspirierte Kulturimport aus den USA hat den 31. Oktober längst vereinnahmt. Ein Ende des Trubels ist nicht in Sicht, Horror hat Konjunktur. Die Partys und das „Trick or Treat“-Klingeln für süße Spenden sind aber nur die vorläufige Spitze einer anhaltenden Entwicklung. „Seit dem Aufkommen der Schauerromane im 18. Jahrhundert wird Gruseln mehr und mehr zur Freizeitbeschäftigung“, sagt Barbara Krug-Richter, Ethnologin an der Universität des Saarlandes. Unzählige Filme, Bücher, Comics, Serien, Hör- und Computerspiele existieren heute. Und wenn es zu sehr gruselt: Seelenjagende „Ghostbuster“ gibt es längst nicht mehr nur im Film.

Die Wurzeln der Horrorindustrie sind immer noch gut erkennbar, viele historische Motive sind hochaktuell, etwa der Werwolf oder Vampir, die vor Hunderten von Jahren von breiten Teilen der Bevölkerung als reale Gefahr gesehen wurden. „Wenn der Werwolf nicht eine populäre Figur in Büchern und Filmen geworden wäre, würden wir ihn heute nicht mehr kennen.“

Allerdings werden die Zuschreibungen immer häufiger umgedeutet – bestes Beispiel ist wohl die „Twilight“-Saga. Da ist der Werwolf nett und der Vampir ein einfühlsamer Mädchenschwarm. Und der Zombie? Kann so furchteinflößend sein wie in der US-Serie „The Walking Dead“, trottelig wie in der Filmsatire „Shaun of the Dead“ oder sogar ziemlich menschlich wie in der Komödie „Warm Bodies“. Aber es geht auch andersrum, betont Barbara Krug-Richter. „Was wir normalerweise als gut und unschuldig wahrnehmen, ist plötzlich böse, etwa Kinder oder Puppen.“

Grusel als Erziehungsmaßnahme

Grauenhafte Geschichten und Vorstellungen haben Menschen schon immer fasziniert und unterhalten. Lange Zeit ging es dabei aber vor allem um Erziehung. Ganz deutlich wird das bei den Märchen der Brüder Grimm. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die Geschichten eine viel gruseligere Wirkung auf Kinder und eigneten sich somit als pädagogische Hilfsmittel. Der Apfel aus der fremden Hand, die Hexe im Lebkuchenhaus: Sinnbilder für das reale Böse, das tatsächlich in der Welt lauert. Doch wer würde sein Kind heute noch auf diese Weise erziehen? Vor dem Wolf warnen, wenn eigentlich Straftäter gemeint sind?

So wie der Aberglaube bei Groß und Klein über die Jahrhunderte und vor allem im Zuge der Aufklärung nachließ, wuchs die Lust an Fiktion – ohne Grusel geht es eben nicht. Und die Darstellung darf für viele immer realistischer und erschreckender sein. „In den ersten Horrorfilmen der Stummfilmzeit wurde nur angedeutet“, sagt Barbara Krug-Richter.

Bei Halloween wird die ganze Bandbreite des Gruselns möglich: das Fantasievolle, das Lustige, das Schreckliche – für alle Gemüter und alle Altersstufen ist etwas dabei. Dabei war das Fest in Deutschland kein Selbstläufer. Die Kostümindustrie nimmt für sich in Anspruch, Halloween hierzulande etabliert zu haben. Grund für die PR-Kampagne sei ein maues Karnevalsgeschäft gewesen. „1991 fielen die Umzüge wegen des Zweiten Golfkriegs aus“, erzählt Dieter Tschorn, Leiter der Fachgruppe Karneval beim Deutschen Verband der Spielwarenindustrie (DVSI). Also musste ein anderer Anlass für Verkleidungen her.

Blutbad-Duschgel und Gehirnpudding

Mehr als zwanzig Jahre später belaufen sich die jährlichen Umsätze zu Halloween auf rund 28 Millionen. Aber nicht nur Kostümhersteller profitieren, auch die Süßwarenindustrie und die Veranstaltungsbranche – und nicht zuletzt der Kürbis, der eine echte Renaissance in der Küche erlebt hat. „Insgesamt schätzen wir den jährlichen Halloween-Umsatz aller beteiligten Branchen auf etwa 200 Millionen Euro“, sagt Tschorn. Blutbad-Duschgel, Hundekostüm „Gothic Lady“, Wackelpudding in Gehirnform, Fledermaus-Toilettenpapier – allein die Auswahl an Halloween-Produkten ist heute riesig.

Dabei feierte die Gruselgaudi nicht erst in den neunziger Jahren ihre Deutschlandpremiere. Auf der hessischen Burg Frankenstein – wo sonst? – stiegen Anfang der siebziger Jahre die vermutlich ersten Halloween-Partys, organisiert von amerikanischen GIs. Auch Deutsche waren eingeladen. „Erst feierten sie in einer Kaserne in der Nähe, wurden aber gleich von der Militärpolizei rausgeschmissen“, erzählt Walter Scheele, Sprecher der Burg. Auf der erhöht gelegenen Festungsanlage war Lärm dann kein Problem mehr. Aus den Burg-Partys ist mittlerweile ein jährliches Festival mit bis zu 30 000 Besuchern geworden.

Gesellschaftskritische Horror-Schocker

Aber Grusel ist nicht nur Schock und Spaß, Grusel kann auch Gesellschaftskritik, betont Ethnologin Krug-Richter. „Da zeigt sich vor allem die Skepsis und Angst vor technischen Entwicklungen.“ Durch Menschenhand geschaffene Monster und genetisch veränderte Tiere etwa sind oft Kommentare zu Wissenschaft und Politik: etwa Godzilla, das nuklear verseuchte Ungeheuer aus Japan – die erste Horrorechse wurde 1954 erschaffen, kurz nachdem die Besatzung eines japanischen Fischerbootes bei einem der massivsten amerikanischen Atomwaffentests verstrahlt wurde. Die Folgen der Nuklearangriffe von Hiroshima und Nagasaki beschäftigten die Bevölkerung da schon fast zehn Jahre lang.

Mary Shelleys Schauerroman „Frankenstein“ wurde 1818 veröffentlicht und spielt mit der Faszination, die von der neu entdeckten Elektrizität ausgeht – eine Mahnung an die Gefahren, die Fortschritt oft beinhaltet. Auch viele Zombiefilme werfen existenzielle Fragen auf, meint Barbara Krug-Richter. „Wie würden wir uns im Fall einer solchen Katastrophe verhalten?“ Zu Hause auf dem Sofa lässt sich der Weltuntergang jedenfalls ertragen – und sorgt nur für ein wohliges Schauern.

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