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Ankunft der Zeugin. Die Kolumnistin Alice Schwarzer sollte im Prozess gegen den Wettermoderator vernommen werden. Foto: dpa

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Panorama: Im Zweifel für Kachelmann

Verteidiger Schwenn wertet alles als Entlastung, selbst die Aussageverweigerung von Alice Schwarzer

Kräftig hätte sie zuschlagen müssen, da sind sich die Mediziner einig. Mit der Faust oder einem stumpfen Gegenstand, einem Schraubenziehergriff oder einem Hammerstiel. So hätte sich Claudia D., das angebliche Opfer von Jörg Kachelmann, ihre schweren Blutunterlaufungen an den Oberschenkeln auch selbst beibringen können. An diesem Punkt enden die meisten Gemeinsamkeiten der Professoren in ihren Aussagen vor dem Landgericht Mannheim am Mittwoch. Sie standen im Mittelpunkt eines Verhandlungstages, der mit Spannung erwartet worden war. Nicht zuletzt wegen der angekündigten Vernehmung der Feministin Alice Schwarzer. Die kam. Und schwieg.

Der Heidelberger Rechtsmediziner und vom Gericht bestellte Sachverständige Rainer Mattern hält sowohl eine Fremd- wie eine Selbstverletzung für möglich. Sein Kölner Kollege Markus Rothschild, den die Verteidigung aufgeboten hat, ist von einer Täuschung überzeugt. „Fast alle typischen Merkmale einer Selbstverletzung sind erfüllt“, sagt Rothschild. Es geht um die Hämatome und Kratzer an Hals, Arm und Bauch. Rothschild nennt eine auffallende Gleichförmigkeit, das Aussparen sensibler Stellen und die für das angebliche Opfer selbst gut erreichbaren Stellen. Auch hält er es für „nicht nachvollziehbar“, wie Kachelmann bei der gesamten Vergewaltigung ein Messer an den Hals des mutmaßlichen Opfers gedrückt haben soll. So aber hat es die Zeugin geschildert, die während der angeblichen Vergewaltigung auch das Gesicht Kachelmanns über ihrem gesehen haben will. „Dann ist mir aber nicht verständlich, wie der 1 Meter 90 große Kachelmann die 1 Meter 70 große Zeugin mit seinen Knien derart an den Oberschenkeln verletzt haben soll.“ „Aussagen und Verletzungsbild passen nicht zusammen“, sagt Rothschild. Der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel nennt Schnittverletzungen der Frau oberflächlich und völlig ungefährlich. „Das Muster spricht ganz eindeutig für Selbstbeschädigung.“

Zuvor hatte die Verteidigung Aussagen Matterns angegriffen, die in der Öffentlichkeit als belastend gewertet worden waren. „Der spekulative Charakter der Antworten ist evident“, sagt Kachelmanns Anwalt Johann Schwenn. Er nennt Matterns Gutachten „eindeutig entlastend“. Nach den Untersuchungen hätten sich am Rücken des angeblichen Tatmessers Hautabschürfungen befinden müssen. Diese seien bei der Spurensicherung nicht festgestellt worden. Auch Rothschild weist darauf hin, dass die Spuren am Messer hätten haften bleiben müssen. Auf Fragen des Gerichts räumt der Pathologe ein, dass die Kratzer medizinisch-technisch vom Messer stammen könnten.

Mattern hatte Claudia D. unmittelbar nach der angeblichen Tatnacht im Februar 2010 und später untersucht. Nach Angaben des Arztes könnte die Verletzung am Hals nur vom Andrücken des Messerrückens stammen – auch Rothschild sieht das so. Claudia D. behauptete in ihrer Vernehmung vor Gericht, sie habe die bezahnte Schneide des Messers am Hals gespürt. Der Arzt hatte den Befund in Selbstversuchen überprüft, zudem hatte er Experimente mit einer Kollegin und auch mit der eigenen Ehefrau angestellt, zum Teil „jenseits der Schmerzgrenze“, wie er sagt.

Mattern verteidigt am Mittwoch sein Gutachten. Die Spuren ließen auch auf Fremdverletzung schließen, vorausgesetzt, das Messer sei am Hals mehrfach gekippt oder horizontal bewegt worden, zudem mit heftigem Druck. Allerdings hätten sich dann Spuren vom Hautabrieb finden lassen müssen. Nach Aussage von Claudia D. hat sie das Messer in der Nacht noch einmal am Griff angefasst. „Ich bin kein Spurensachverständiger“, sagt Mattern. Trotzdem habe er sich auch über einiges „gewundert“. So habe das angebliche Opfer zunächst nicht spontan geschildert, wie es zu den starken Hämatomen an den Oberschenkeln und dem Kratzer am Hals gekommen sei. Sie habe auch keine typischen Abwehrverletzungen gehabt.

Am Nachmittag erscheint Alice Schwarzer, die von Schwenn überraschend als Zeugin benannt worden war. Es geht um ihre Kontakte zum Psychotraumatologen Günter Seidler, der Claudia D. behandelt und bei ihr eine „posttraumatische Belastungsstörung“ diagnostizierte, die von der Vergewaltigung herrühre. Schwarzer, als Berichterstatterin für die Bild-Zeitung im Prozess tätig, habe in einem Bild-Artikel davon gesprochen, mit Seidler über das Verfahren geredet zu haben. Seidler hat nach Angaben Schwenns solche Kontakte abgestritten. Da es um die Glaubwürdigkeit Seidlers gehe, sei Schwarzer zu vernehmen. Die Emma-Journalistin macht allerdings von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Schwenn betrachtet die Absage dennoch als Punktsieg der Verteidiger. Die verweigerte Aussage müsse nun zugunsten Kachelmanns gewertet werden.

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