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Wahlkampf in den USA: Jonathan, der Pfähler, will nach oben

Neben ernst zu nehmenden Kandidaten wie Hillary Clinton, Barack Obama und Rudy Giuliani treten Dutzende skurriler Bewerber zur Präsidentschafts-Wahl 2008 in den USA an.

Kaum ein Land hat ein so basisdemokratisches Wahlrecht wie die USA. Wenn die Bürger es wollen, kann Average Joe – zu deutsch: Otto Normalverbraucher – der nächste Präsident werden. Er braucht dafür keinen Parteiapparat, er muss noch nicht einmal auf dem Stimmzettel stehen, die einfache Mehrheit der abgegeben Voten genügt. Auch Jonathan, der Pfähler, kann es theoretisch schaffen. Er verspricht, allen Vampiren und sonstigen Bösewichtern den Garaus zu machen. „Average Joe“ Schriner aus Ohio gibt es wirklich, genauso wie Jonathan Sharkey aus New Jersey. Beide firmieren offiziell als Kandidaten, gleichberechtigt mit den großen Favoriten für 2008, den Demokraten Hillary Clinton und Barack Obama sowie dem Republikaner und früheren New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani.

Skurriles und Amüsantes verbirgt sich hinter den 63 Namen, die der Anwalt und Politjunkie Ron Gunzburger auf seiner Webseite politics1.com derzeit als erklärte Kandidaten neben acht Demokraten und zehn Republikanern auflistet. Sie sind aber auch ein Spiegel der weiten Seelenlandschaft Amerikas. Earl Dodge aus Colorado und Gene Amondson aus Washington wollen im Namen der Prohibition Party das absolute Alkoholverbot wieder einführen, das von 1920 bis 1933 galt. Nur leider vertreten sie zwei verfeindete Flügel der Partei, die sich schon 2004 gegenseitig die Anerkennung verweigerten. Don Grundman, Chiropraktiker in Kalifornien, möchte die Steuern, die UN und die Abtreibungsfreiheit abschaffen und hofft auf die Nominierung durch die konservative Constitution Party.

Die Libertarian Party macht ihrem Anspruch, gegen zu viel Regulierung einzutreten, schon dadurch Ehre, dass elf Bewerber um die Kandidatur wetteifern: von Busfahrer Dave Hollist bis Marihuana-Legalisierer Steve Kubby. Weitestgehende Wirtschaftsfreiheit und Bürgerrechte, möglichst wenig Staat und ein absolutes Nein zu Interventionen im Ausland gehören zum Credo.

Die Grünen haben einen landesweit bekannten Politiker, Verbraucheranwalt Ralph Nader. 2000 waren seine 2,9 Millionen Stimmen (2,7 Prozent) die Hauptursache für Al Gores knappe Niederlage gegen George W. Bush neben dem Auszählungsstreit in Florida. 2004 dagegen hatte Nader keinen Einfluss auf Bushs Sieg über John F. Kerry. Diesmal bekam er nur 411 000 Stimmen (0,3 Prozent), Bush lag mehr als drei Millionen Stimmen vorn. Nader war nicht mehr der offizielle Kandidat der Grünen. Er trat als Unabhängiger an.

Kandidieren ist nicht schwer, Präsident werden dagegen sehr. Formal gibt es nur drei Kriterien: Ein Bewerber muss als US- Bürger geboren, mindestens 35 Jahre alt sein und die letzten 14 Jahre in den USA gelebt haben. In der Praxis haben nur die Kandidaten der beiden großen Parteien eine Chance. Drittbewerber haben jedoch Macht, 2000 zum Schaden der Demokraten. 1992 war es umgekehrt: Die 19 Prozent für den Geschäftsmann Ross Perot, zum Großteil aus Republikanerkreisen, kosteten George H.W. Bush die Wiederwahl. Bill Clinton gewann mit 43 Prozent.

Auf so viel Einfluss dürfen die 63 Nobodys diesmal nicht hoffen. Sie haben nicht nur keine Chance gewählt zu werden. Die meisten haben nicht mal Aussicht, ihren Namen auf dem Stimmzettel gedruckt zu sehen. Dafür muss ihre Partei – oder müssen sie als Unabhängige – ein gewisses Maß an Unterstützung in der Bevölkerung nachweisen. Diesen „ballot access“ regeln die 50 Einzelstaaten, es gibt keine nationale Vorschrift. Die Details variieren. Alabama, zum Beispiel, verlangt, dass eine Partei bei der letzten Wahl mindestens drei Prozent der Stimmen erzielte – oder dass ein Einzelkandidat 41 000 Unterschriften beibringt. In Arizona gelten fünf Prozent oder 20 000 Signaturen, in New York fünf Prozent oder 50 000 Unterschriften. Um in allen 50 Staaten auf dem „Ballot“ zu erscheinen, muss ein Unabhängiger 700 000 Unterschriften eingetragener Wähler sammeln. Bei der Wahl 2004 standen nur zwei Namen auf den Stimmzetteln aller 50 Staaten: Bush und Kerry. Und nur vier weitere Namen tauchten in einer ausreichenden Zahl von Einzelstaaten auf, so dass es zumindest theoretisch zum Wahlsieg für einen von ihnen gelangt hätte.

Von den 63 Möchtegern-Präsidenten werden höchsten vier bis sechs so weit kommen. 42 haben offiziell nicht mal eine Partei hinter sich, auch wenn manche das behaupten. Jonathan der Pfähler beruft sich auf eine „Vampir-, Hexen- und Heidenpartei“, Jackson Kirk Grimes auf eine „Vereinte Faschisten-Union“. Die werden offiziell nicht als Parteien geführt, weil sie nicht genug Mitglieder oder Wähler nachweisen können.

Basisdemokratisch, wie die USA der Idee nach sind, wäre nicht einmal das ein Hindernis. Man muss nicht auf dem „Ballot“ stehen, um gewählt zu werden. Wenn genügend Bürger den Namen auf den Stimmzettel schreiben, reicht das auch. 1954 wurde Strome Thurmond so zum US-Senator von South Carolina gewählt, er war dort freilich allgemein bekannt. 2002 landete der amtierende Bürgermeister von Washington, Anthony Williams, einen Erdrutschsieg, nachdem sein Name wegen eines Formfehlers vom Stimmzettel gestrichen worden war. Aber das waren Ausnahmen in Sondersituationen. Die Mehrzahl der 300 Millionen US-Bürger wird nie erfahren, dass es Average Joe Schriner und Jonathan, den Pfähler, überhaupt gibt.

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