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Nur noch Schrott. Autos in der Innenstadt von Genua nach dem Unwetter. Foto: Reuters

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Panorama: Kalkulierte Katastrophe

Warum die Flut in Ligurien politische Gründe hat

Dieser Tsunami kam nicht vom Meer her, er kam aus den ligurischen Bergen. Ende Oktober verwüsteten Sturzbäche von Wasser, Schlamm und Felsen zwei malerische Küstendörfer der Cinque Terre, zerstörten fast komplett ein Dorf im Hinterland und schwemmten Dutzende von Straßen hinweg. Acht Tage später hat es nun Genua erwischt, die Hauptstadt der Region. 15 Menschen sind in diesem Katastrophenherbst bisher gestorben, ein paar werden noch gesucht, 1500 Personen bleiben vorerst evakuiert, und am Sonntag verbreitete sich die Hochwasserangst noch weiter: Der Po schwillt an. Die Industriestadt Turin hält an diesem Montag vorsichtshalber alle Schulen geschlossen.

In der Hafenstadt Genua richtete sich am Wochenende die Wut der Bewohner gegen die Politik. Es fehlte nicht viel, und Bürgermeisterin Marta Vincenzi wäre bei einem Ortstermin verprügelt worden: „Ihr Politiker seid schuld, ihr habt nichts gemacht!“, riefen die Bürger. Ganz falsch, sagen Experten, liegen sie damit nicht. Allerdings haben auch etliche von ihnen und diesmal in besonders hohem Maß die Natur zu den Verwüstungen beigetragen.

Die Region Ligurien besteht nur aus dem sehr schmalen Küstenstreifen der Riviera, gleich hinter dieser steigen hohe Berge auf. An ihnen stauen sich die Wolken und regnen sich ab. Dieser Effekt fällt laut Meteorologen in diesem Jahr besonders heftig aus, weil nach einem ungewöhnlich langen Sommer das Mittelmeer wärmer ist als sonst und weil im Zusammenprall mit den üblichen atlantischen Wetterstörungen der Jahreszeit stärkere Unwetter entstehen als üblich. Die 500 Millimeter Regen, die in den „Cinque Terre“ innerhalb von nur vier Stunden fielen, gelten als Rekord.

90 Prozent der 1,6 Millionen Ligurer drängeln sich in den Siedlungen unten am Meer. Dort ist alles verbaut, fast aller Boden mit Beton versiegelt. Die in weiten Teilen des Jahres trockenen Bäche, die bei Unwettern von den Bergen herabstürzen, haben keinen Platz, sich auszudehnen – außer sie nehmen, wie in Genua, die Einkaufsstraßen. Allein Genua hat fünf dieser Sturzbäche zugebaut. Dass das ein Risiko darstellt, ist lange bekannt: Seit 1960 zählen ligurische Statistiker alle zwei Jahre eine mehr oder weniger große Katastrophe, 166 Menschen sind dabei insgesamt umgekommen.

Praktisch alle Gemeinden Liguriens sind in den nationalen Katastrophenschutzplänen als gefährdet eingetragen. Die Vorsorge aber ist dahinter zurückgeblieben. In mehr als der Hälfte der Gemeinden, so beklagt der Umwelt-Dachverband Legambiente, stehen Industriebauten oder Hotels in den „Roten Zonen“. Weiter oben, mit Panoramablick auf den azurblauen Golf, blockieren schwarz errichtete Wohnhäuser die Bachläufe. Zwar wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Randdämme gebaut, in den Bachbetten aber sammelt sich der Müll. Und von den zwei Milliarden Euro, die Silvio Berlusconis Regierung vor einem Jahr zur „Bekämpfung der Wasser- und der geologischen Risiken“ Italiens bereitzustellen versprach, fehlt jede Spur.

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