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Klebemann. Gerade bereitet sich Antonio Segreto auf seine Abi-Prüfung vor. Nebenbei organisiert er die Plakataktion gegen den ugandischen Massenmörder Joseph Kony.

© Paul Zinken

Kony 2012: Der Druckmacher

Mit seiner Facebook-Gruppe unterstützt Antonio Segreto die Kampagne „Kony 2012“. Am Freitag will er in Berlin Plakate kleben.

Antonio Segreto hat ein verschmitztes Grinsen auf den Lippen, sitzt in einem Café in Mitte lässig auf einem Stuhl und trinkt Caramel Macchiato. Es sind nur noch wenige Tage bis zu seiner vierten Abiturprüfung. Geschichte ist diesen Freitag an der Reihe, aber der 18-Jährige bleibt entspannt. Er hat sich für diesen 20. April noch viel mehr vorgenommen, als nur eine gute Klausur zu schreiben. Am Abend wird er sich mit Freunden auf dem Alexanderplatz treffen. Gemeinsam wollen sie Plakate gegen den ugandischen Rebellenführer und Massenmörder Joseph Kony kleben.

Antonio Segreto hat bei Facebook die erste Berliner „Kony 2012“-Aktionsgruppe gegründet, nachdem er im Internet einen 30-minütigen Clip der US-Kinderhilfsorganisation Invisible Children gesehen hatte. In dem Video klärt die Organisation über die Verbrechen der ugandischen „Lord’s Resistance Army“ (LRA) auf, die diese seit 20 Jahren unter der Führung des selbsternannten Gotteskriegers Joseph Kony im Land verübt. Die LRA soll Kinder und Jugendliche als Soldaten und Sexsklaven missbraucht und weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Kony, der seit 2005 mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, hält sich derzeit im afrikanischen Busch versteckt. Ziel von Invisible Children ist es, ihn noch in diesem Jahr zu fassen und vor den Internationalen Strafgerichtshof zu stellen. Um das zu erreichen, muss man Kony berühmt machen, so die Theorie der Organisation. Deshalb veröffentlichte sie über soziale Netzwerke wie Youtube, Facebook und Twitter ihren Clip, der über 100 Millionen Mal angeklickt wurde. Ein Erfolg, den Invisible Children als „digitale Revolution“ bezeichnet. Unterstützt wird die Kampagne von Angelina Jolie, George Clooney und Rihanna.

Dem Video soll diesen Freitag ein weltweiter Aktionstag folgen. Mit T-Shirts, auf denen Konys Konterfei zu sehen ist, mit Briefen an zuständige Politiker. Zum Abschluss sollen die Unterstützer der Kampagne unter dem Motto „Cover the Night“ am Abend auf die Straßen gehen und ihre Städte mit Plakaten und Stickern pflastern. Antonio Segreto koordiniert die Aktion in Berlin und hat eigens dafür eine Facebook-Gruppe gegründet, auf deren Seite erfährt man auch den genauen Treffpunkt. Bereits über 180 Leute haben online ihre Unterstützung zugesagt. Hinzu kommen die Anhänger mehrerer anderer Berliner Gruppen, denen sich bislang knapp 1000 junge Menschen angeschlossen haben. Mit einigen will sich Antonio zusammenschließen.

Dass sich am Ende tatsächlich so viele Aktivisten engagieren werden, bezweifelt Antonio. Es ist eben bequemer, einen „Like“-Button zu drücken, als auf die Straße zu gehen. Auf seine Freundin und einen Kumpel sei aber Verlass, sagt der Gymnasiast. Und auf die anderen? „Ich kann froh sein, wenn 30 Leute zusammenkommen. Das Interesse ist nach dem ersten Hype wieder eingeschlafen.“ Das neue Video von Invisible Children wurde nur noch 1,5 Millionen Mal angeschaut. Antonio zuckt die Schultern. „Na dann machen wir’s eben zu dritt.“

Vielleicht werden sie auch zu fünft sein, denn mit zwei Schülern aus Pankow ist Antonio vorab zum Plakatedrucken verabredet. Die Vorlagen hierzu gibt es in vielen Sprachen auf der Website von Invisible Children. Ein paar Exemplare will Antonio unter den Anwesenden verteilen. Ansonsten ist jeder selbst für sein Material verantwortlich. Und vor allem für das, was er damit anstellt. Denn legal ist öffentliches Plakatieren ohne Genehmigung nicht, jeder handelt auf eigene Gefahr. Invisible Children weist seit kurzem darauf hin.

Beim Ordnungsamt Mitte formuliert es eine Mitarbeiterin so: „Es handelt sich um Sachbeschädigung, wenn eine Beeinträchtigung des Klebeuntergrunds vorliegt. Ist dies nicht der Fall, liegt zumindest eine Ordnungswidrigkeit vor.“ Als Konsequenzen drohen Bußgelder. Allerdings nur, wenn jemand auf frischer Tat ertappt wird. Das geschehe selten, sagt die Mitarbeiterin. Tauchten Plakate zuhauf auf, würden Anzeigen gegen unbekannt geschrieben. Die seien allerdings „in der Regel ziemlich erfolglos“. Obwohl die weltweite Kampagne groß angekündigt ist, weiß man in der Behörde davon nichts.

Warum das so ist? Antonio Segreto hat eine Vermutung: „Man konnte leicht übersehen, dass es einen Aktionstag gibt, wenn man nur der Berichterstattung der Medien gefolgt ist.“ Ihm kann die behördliche Ahnungslosigkeit nur recht sein. Trotzdem hat er Vorkehrungen getroffen, vorsichtshalber: Antonio ist zwar sein richtiger Vorname, aber Segreto nur ein Deckname, den er für die Aktion gewählt hat. Und auch beim Plakatieren will er wachsam bleiben.

Dass Invisible Children mit „Kony 2012“ nicht nur Anhänger, sondern auch Kritiker auf den Plan ruft, stört Antonio nicht. Vorgeworfen wird der Organisation vor allem, den Sachverhalt hochemotional, aber mit zum Teil veralteten oder falschen Fakten darzustellen. Zudem wird viel über die undurchsichtige Verwendung von Spendengeldern diskutiert. Und dann stand auch noch der Initiator des Videos, der Filmemacher Jason Russell, in den Schlagzeilen. Er hatte einen Zusammenbruch erlitten und sich in psychiatrische Behandlung begeben.

Antonio steht trotzdem hinter der Sache, er will die öffentliche Aufmerksamkeit wieder auf das eigentliche Thema lenken. „Wer sich nicht zusätzliche Informationen einholt, ist sowieso nicht reif genug für den Umgang mit dem Internet“, glaubt er. Die Kritik der Medien findet er übertrieben. Dabei werde aus den Augen gelassen, dass mithilfe des Videos bei jungen Leuten Interesse für die Missstände in Afrika geweckt werden kann.

So wie bei Antonio. Er ist der Sohn eines Berliner Abgeordneten, wohnt in Karlshorst und will nach dem Abitur zum Work&Travel nach Australien. Er plant ein Politologiestudium, hat sich außerhalb der Schule aber bisher nicht politisch engagiert. Für „Kony 2012“ will er nun auf die Straße gehen. Warum? „Ich habe mich persönlich angesprochen und emotional berührt gefühlt. Die Aktion zeigt, dass man bei Facebook nicht nur Quatsch findet.“ In die Aktion am Freitag setzt er große Hoffnungen. Sein Traum: dass am Samstagmorgen etliche „Kony 2012“-Plakate die Hauptstadt zieren.

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